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MARTECH

So lief der erste New Marketing Tech Summit

Jens von Rauchhaupt, 10. November 2017
Foto: ADZINE EVENTS - Kay Michalczak Moderator Frank Puscher führte durchs Programm

Am Mittwoch, den 8.11., fand mit dem New Marketing Tech Summit die erste Martech-Konferenz in Deutschland statt. Das neue Konferenzformat von ADZINE Events versteht sich als Orientierungshilfe für Unternehmen, die ihr Marketing in das digitale Zeitalter hieven wollen. Helfen sollen dabei spezielle Technologieanbieter, die das Marketing zentralisieren und zum Teil auch automatisieren. Die Implementierung solcher Systeme erfordert von den Unternehmen wichtige Grundsatzentscheidungen organisatorischer und struktureller Art und ist für die meisten Firmen keinesfalls ein Selbstläufer.

Neben Datenzentralisierung und neuen Möglichkeiten einer kanalübergreifenden Marketingkommunikation stand die Auswahl und die Zusammenarbeit der Martech-Plattformanbieter im Zentrum der Diskussionen im Hamburger Kehrwieder Theater, das mit über 200 Besuchern gut besucht war. Und schon in den ersten Vorträgen wurde klar: Es läuft nicht immer sofort rund, wenn Unternehmen neue Marketingplattformen integrieren.

Plädoyer für einen ehrlichen Umgang

Das Vertrauensverhältnis zwischen Technologieanbieter und dem Unternehmen sei oft schnell gestört. Erik Siekmann, Gründer und Geschäftsführer der Unternehmensberatung Digital Forward, plädoyierte für einen ehrlichen Umgang untereinander. In seiner Keynote sprach er von besteheden Zielkonflikten. Die Plattformanbieter würden überzogene Erwartungen bei den Unternehmen schüren.

Foto: ADZINE EVENTS Erik Siekmann, Digital Forward

Die eigentlichen Problemherde lägen aber bei den Unternehmen selbst, weil sie die Führung der notwendigen Prozesse nicht übernehmen können. Helfen könnte ein „Martech-Technologie-Experte“, der die Prozesse intern zentral steuert. Doch derzeit stünden sich viele Unternehmen aufgrund mangelnden Know-hows und der vorherrschenden Organisationsstruktur selbst im Weg. Insbesondere der Dreiklang Tech/Marketing/Sales funktioniere laut Siekmann nicht. Am Ende versprechen die Plattformanbieter einfach das, was einzelne Units der Unternehmensseite hören wollen. Siekmann forderte daher von vornherein mehr Ehrlichkeit zwischen Tech-Anbieter und Unternehmen. Es sei zwar ein steiniger Weg, der sich aber für die Unternehmen zu gehen lohnt.

Matthias Postel, Gründer und CEO von ICompetence, hat ähnliche Erfahrungen bei seiner Beratungstätigkeit machen müssen. Es fehle den meisten Unternehmen schon an dem Wissen, welche Tech-Plattform bereits implementiert sei und welche Basisinformationen über die Kunden schon in einer Firma vorliegen. Selbst bei der Nomenklatur erfasster Datenpools ginge vieles durcheinander und auch wenn es wehtut, müssten die Unternehmen erst einmal für sich Standards definieren, bevor sie neue Systeme implementieren können.

Wird echt Zeit für Echtzeitkommunikation

Foto: ADZINE EVENTS - Kay Michalczak Alexander Handcock, Selligent

Nach diesen einleitenden Worten ging es auf dem Summit immer mehr in Richtung Praxisbezug. Den Anfang machte Alexander Handcock, Director Global Brand Strategy von Selligent, ein Anbieter für Marketingautomatisierung zur Verbesserung des Customer Engagements. Handcock sprach über den Bedeutungsgewinn der Echtzeitkommunikation, dem Real-Time-Marketing, und brachte ein Beispiel aus der Hotelbranche mit. In einem Case der IHG Hotel Group zeigte Handcock wie sich Hotelgäste in Echtzeit im Hotel einchecken können, nachdem sie die Buchung über E-Mail abgeschlossen hatten. Handcock stellte fest, dass die Konsumenten immer anspruchsvoller werden. Der „Entitled Customer“ fordert im Kundenbeziehungsmanagement möglichst schnelle Reaktionszeiten, am besten in echter Real-Time. Das hat auch Folgen für die Marketingkommunikation. Gerade im Owned-Media-Bereich, also auf eigenen Umfeldern einer Marke, wird daher die Echtzeitkommunikation immer wichtiger. Handcock stellte zudem einen Shift weg vom Outbound- hin zum Inbound-Marketing fest. Hinzu komme, dass das neue Kommunikationsverhalten der Konsumenten die Aufgaben der Marketingverantwortlichen erschwere. „Der Kunde interessiert sich nun einmal nicht für seine eigene Customer Journey. Er verhält sich auch nicht mehr linear.“ Und genau das müssten die Marketingverantwortlichen mit Hilfe von Martech-Technologien besser berücksichtigen.

Mut zur Neujustierung des Marketings

Carina Reinisch, Tuifly.com

Sehr offen berichtete Carina Reinisch, Head of Performance Marketing von Tuifly.com, über die intern gemachten Erfahrungen mit der Datenzentralisierung im eigenen Unternehmen und der späteren Implementierung eines Marketing- und Adtech-Stacks. Reinisch sprach von „internen Lernprozessen, die ihre Zeit benötigen“. Im Vortrag stellte sich heraus, dass der Transformationsprozess von der Performance-Marketing-Abteilung bei Tuifly.com angeschoben wurde und wie die Digitalisierung über alle Abteilungen hinweg bis zum Controlling sowie der Angebots- bzw. Preisgestaltung Einzug gehalten hat. Dazwischen lag ein Prozess, der über mehrere Jahre hinweg das Marketingteam um Carina Reinisch beschäftigte. „Verstehen, Lernen, Aufarbeiten mit dem nötigen Mut und Ausdauer“, beschrieb Reinisch diesen Vorgang, der am Ende zu einer erfolgreichen Neujustierung des gesamten Marketings geführt habe. Scherwin Kazemi, Leiter Cross Channel Management Online Sales von ERGO, beschrieb in seinem Vortrag, wieso die Direktversicherung sich für die Inhouse-Implementierung eines vollständigen Adtech-Stacks aus Adserver-, DMP- und DSP-Lösung entschieden hatte und welche Gründe am Ende für den Adtech-Anbieter Adform sprachen. Hierzu hatte ADZINE bereits im Vorfeld der Veranstaltung berichtet.

It's all about Data

Foto: ADZINE EVENTS - Kay Michalczak Endru Tedjasukmana, Cheil/Samsung Group

Einen weiteren Schwerpunkt auf dem New Marketing Tech Summit bildete das Thema Datenhebung und Datennutzung. In einem Q&A berichtetet Endru Tedjasukmana, Senior Director Data Driven Marketing von Cheil, wie Samsungs eigene Agentur Daten für die Audience-Segmentierung und zur Personalisierung der Samsung-Umfelder sammelt und einsetzt. In dem darauffolgenden Panel mit Carina Reinisch von Tuifly.com und Jonas Freyer, dem Leiter Data Analytics bei der Agentur Pilot, wurden noch einmal die verschiedenen Ansätze zwischen Samsung und Tuifly.com deutlich. Diskussionswürdig waren nicht nur die unterschiedlichen Herangehensweisen, sondern vor allem auch die Rolle der Mediaagenturen, die sich mit der digitalen Transformation auch neue Aufgabenfelder im Marketing der Unternehmen suchen. Während Samsung den Bereich Data Usage seiner eigenen Agentur Cheil anvertraut, kommt Tuifly.com nahezu ohne Agenturleistung aus. Jonas Freyer von Pilot konnte hingegen sehr plausibel erläutern wie auch Mediaagenturen Unternehmen dabei untersützen, um Werbedaten und Marketingdaten aus den verschiedensten Quellen nutzbar zu machen.

Adtech meets Martech

Eine Personalisierung in der Kundenansprache entlang der gesamten Customer Journey erfordert auch eine Verschmelzung der Adtech- und des Marketing-Stacks. Diese Zusammenführung war auch Gegenstand des zweiten Panels, bei dem Prof. Dr. Jürgen Seitz als Moderator alles aus den Panelteilnehmern Dr. Jochen Schlosser, Chief Strategy Officer Adform, Alexander Handcock (Selligent), Katrin Breckner, Head of Marketing Tech Zalando, und Matthias D. Koch, Global Mobile Marketing Senior Manager Meliá Hotels, herauskitzelte.

Foto: ADZINE EVENTS - Kay Michalczak Panel Adtech Meets Martech

Offenkundig wurde in der Diskussion, dass bei den Unternehmen diese Zusammenführung unterschiedlich weit fortgeschritten ist. Breckner von Zalando stellte den Effizienz- und Transparenzgewinn im eigenem Unternehmen heraus, die aus einer Zusammenlegung der Aufgabenbereiche resultieren. Vor allem bei der Personalisierung auf Grundlage der einheitlichen Datenbasis sieht man bei Zalando neue Möglichkeiten. Meliá Hotels hatte vor dem Panel in einem Praxis-Case mit der Mobile-DSP Tabmo gezeigt, wie die Hotelkette mit programmatische Kampagnen hohe Engagementraten in der Zielgruppe erzeugte. Laut Matthias Koch, Global Marketing Senior Manager von Meliá, testet man nun für einzelne Hotels solche personalisierten Kommunikationstaktiken. Technologisch wollen sich viele Firmen übrigens nicht von einem Anbieter abhängig machen. „Nur die wenigsten Unternehmen wollen einen Tech-Stack eines einzelnen Anbieters verwenden“, berichtete Schlosser von Adform. Alexander Handcock erinnerte dabei an die Schnittstellenproblematik, wenn zu viele Tech-Anbieter in einem Unternehmen involviert sind. Seitz selbst resümierte etwas süffisant zum Schluss des Panels: „Martech macht die Arbeit nicht immer einfacher, weil es sehr viele Stellen im Marketing berührt. Darüber werden sich vor allem die Berater freuen.“

Wie ein Website-Besuch Briefmailings auslöst

Foto: ADZINE EVENTS - Kay Michalczak Christian Heuser, Consentric Deutsche Post

Ein besonderes Schmankerl war der Vortrag „Wir wissen, wo Dein Cookie wohnt!“ von Christian Heuser, Consentric Deutsche Post. Die Post hat etwas still und leise eine neue Technologie für ein stark verbessertes Targeting von Werbe-Mailings auf postalischen Weg entwickelt, das nach einer Betaphase nun ab November in den Regelbetrieb gegangen ist. Dabei ist der Website-Besuch der Auslöser für den Versand eines Werbemailings per Post an den Adressaten, der die Website des Post-Consentric-Kunden ausgelöst hat. Freilich bekommt nicht nur der Webseitenbesucher diese Mailings, sondern auch die nächsten Haushalte in der Nachbarschaft. Das Ganze entspricht dem aktuellen Datenschutzstandard und läuft über mehrere Postfirmen und Anonymisierungsinstanzen. Am Beispiel vom Kunden Sky Deutschland zeigte Heuser dem verblüfften Publikum die Technologien und Prozesse, die hinter diesem neuen Post-Targeting stecken.

ePrivacy Verordnung: Düsteres Bild

Michael Neuber, BVDW

Ob allerdings das Consentric-Targeting der Deutschen Post auch noch nach Inkrafttreten der neuen ePrivacy Verordnung (ePV) möglich sein wird, ist zumindest fraglich. An den Vortrag von Michael Neuber, Justiziar des BVDW, zur neuen ePV wurden besonders hohe Erwartungen gestellt, die er voll erfüllen konnte ohne allerdings damit Begeisterung bei den Zuhörern zu entfachen. Denn der Rechtsanwalt zeichnete ein düsteres Bild für die europäische Werbewirtschaft, wenn die ePV genauso in Kraft tritt wie sie vom europäischen LIBE-Ausschuss finalisiert wurde. Nur das Europäische Parlament kann noch die derzeitige Version über die Einschaltung des Vermittlungsausschusses kippen. Geschieht dies nicht, und das wurde in Neubers Vortrag ziemlich deutlich, ist die Existenz vieler Geschäftsmodelle gefährdet.

Neuber zeigte anhand aller neuralgischen Regelungen in der ePV die ganze Problematik dieser Verordnung. Neben der Einwilligungspflicht durch den User für jegliches Senden digitaler Informationen an Dritte, erscheint besonders das Kopplungsverbot (Art.8 Abs.1a ePV) und die neue Stellung der Browsers als Zugangswächter (Art.10 ePV) wenig nachvollziehbar. Tritt die ePV in ihrer jetzigen Fassung in Kraft, dürfen Publisher nicht mehr vom Nutzer verlangen, im Austausch für die Bereitstellung der Inhalte Werbeeinblendungen zu akzeptieren. Das heißt im Grunde genommen, dass fast alle Publisher schon sehr bald Bezahlschranken hochziehen müssen, um ihre Inhalte überhaupt noch monetarisieren zu können. Einziger Ausweg wäre vielleicht noch eine Teilnahme an den Single-Sign-On-Allianzen. Das Kopplungsverbot steht übrigens im diamentralen Widerspruch zur aktuellen Rechtslage.

Browser als Zugangswächter

Besonders heikel ist die zukünftige Aufgabe der Browser als technologische Zugangswächter (Gatekeeper) für das bald rechtsverbindliche „Do Not Track“ Signal. Einwilligungen für das Setzen von Werbe-Cookies, die beim Besuch einer Webseite vom Nutzer erteilt wird, laufen dann ins Leere. Technisch betrachtet, kann und muss ein Cookie nur vom Browser „freigeschaltet“ werden. Diese neue „Macht“ der Browser-Anbieter birgt viel Zündstoff, weil es laut Neuber gleichzeitig keine Verpflichtung für die Browser-Anbieter gibt, dass die Auswahlentscheidung des Nutzers auch unmittelbar vom Browser vollzogen wird. Mit anderen Worten: Nutzer und Websitenbetreiber müssen darauf vertrauen, dass die Bowsereinstellung wirklich dem Nutzerinteresse entsprechen. Da neben Mozilla Firefox und dem Internet Explorer vor allem Google Chrome markterhebliche Reichweite hat, kann sich jeder ausmalen, welche Diskussionen diese Regelung entfachen wird.

Fazit

Dies waren nur einige Höhepunkte der ersten echten Martech-Konferenz auf deutschem Boden, die von allen Besuchern sehr viel Zuspruch erhalten hat. Der New Marketing Tech Summit wird definitiv in die zweite Runde gehen und dann mit neuen praxisnahen Cases und hochwertigen Speakern Unternehmen weitere Orientierungshilfen im Martech-Jungle geben. Inzwischen gibt es am Markt deutlich über 6.000 Systemanbieter, die dem Martech-Umfeld zugeordnet werden können, und nicht immer ist ein großer Name auch der passende Wegbegleiter in eine schöne, neue Marketingwelt.

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