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PROGRAMMATIC

Der Grund für Bid-Factor-Einsatz sitzt vor dem Computer

Dr. Jochen Schlosser, 11. Juli 2016
Bild: Ayamap - Adobe Stock

Wir leben in einer Welt der sich selbstbeschleunigenden Halbwahrheiten und Buzzwords, die im Tiefflug durch die Welt des (Real-Time-)Marketing gleiten. Und einige dieser Wahrheiten müssen gelegentlich auf den sicheren Boden der Tatsachen zurückgeholt werden. Die meisten dieser Themen verbinden zwei gemeinsame Nenner, nämlich Technologie und Daten. Dies sind die großen Mythen unserer Zeit und sie werden die Gesellschaft und die Wirtschaft fundamental verändern. Ohne fundiertes Wissen in diesen Bereichen wird es in Zukunft immer schwerer werden, den Überblick zu behalten und die richtigen Fragen zu stellen.

Brauchen wir alle eine Ausbildung in Informatik? Sicherlich nicht. Aber der Blick über den Tellerrand wird immer wichtiger. Viele IT-Nerds haben den Sprung in das Business längst geschafft, viele Wirtschaftswissenschaftler oder Kaufleute haben aber weiterhin Berührungsängste und meiden den Einstieg in die Welt der ‚Bits and Bytes‘. Das muss sich ändern.

Line Items und der Untergang des Abendlandes?

In letzter Zeit hören wir immer wieder folgende Theorie: Die "alte Welt" des Real-Time Advertisings wird in Kürze zusammenbrechen, da die Systeme auf alter Technologie gebaut seien und nur ein von Grund auf neuer Ansatz uns noch retten kann: Factorized Bidding!

Bitte, was steckt denn wieder hinter diesem Begriff? Im Grund ist es extrem einfach. Beim Aufsetzen einer Kampagne in einer Demand Site Platform (DSP) wird für jede Buchung – analog zum klassischen Mediaplan – eine einzelne Zeile, ein Line Item angelegt. Für genauere Differenzierungen bei der Ersteigerung musste jeweils eine neue Zeile angelegt und die alte angepasst werden. Falls ich im Rahmen meiner Kampagne also bereit bin, für eine Zielgruppe mehr zu zahlen als für die andere, für ein Format höher zu bieten oder sogar bestimmte Regionen anders zu bereisen, muss dafür jeweils eine neue Zeile angelegt werden. Zielgruppen, Formate, Regionen, Tageszeit, Neu- oder Bestandskunden, und so weiter … es wird komplex und somit gegebenenfalls unübersichtlich.

Achtung, jetzt kommt die Wahrheit: Genau an dieser Stelle kann Factorized Bidding helfen. Innerhalb eines Line Items können Faktoren mit Hilfe von simplen Regeln eingesetzt werden. So kann der Bietpreis in Abhängigkeit von verschiedenen Begebenheiten erhöht oder erniedrigt werden. Innerhalb einer Zeile können also verschiedene Varianten angelegt werden. Ein Beispiel: Vormals 160 Line Items und somit Zeilen können auf übersichtliche 40 mit im Schnitt vier Bid-Faktoren reduziert werden. Im Extremfall kann man diesen gesamten Mediaplan auf eine einzige Zeile reduzieren, was – soviel sei gesagt – auch nicht gerade übersichtlich und effizient ist. Ergo, die Wahrheit liegt anscheinend in der Mitte.

Und jetzt wird es wild

In letzter Zeit ist nun folgendes Gerücht aufgetaucht: Die heutigen Systeme sind überfordert und immer mehr Infrastruktur und Hardware ist notwendig, um das rasend schnell wachsende Angebot im Programmatic Advertising noch bewerten und bepreisen zu können. Die Anforderungen an die QPS (Queries per Second, also die Anzahl von Anfragen pro Sekunde, die ein System maximal abarbeiten kann) sind nicht mehr zu handhaben. Und Bid Factors sind der Retter in der Not!

Wer nun aber das oben genannte Beispiel betrachtet, merkt schnell, dass dies nicht wahr ist. Ob ich nun 160 Zeilen betrachte oder eine einzelne Zeile mit 160 Faktoren, spielt für die Komplexität der Aufgabe absolut gar keine Rolle. Es stellt sich vielmehr unabhängig von der Struktur dieser Kampagnendaten die Frage, wie ich die Komplexität der Entscheidungsfindung reduziere. Aber Moment: Ob Entscheidungsbäume, Wälder, multidimensionale, invertierte Indizes oder Verfahren aus dem Forschungsreaktor zum Einsatz kommen, spielt nämlich keine Rolle. Denn das Problem ist gar nicht so schwierig und bekanntlich führen viele Wege nach Rom und jede reife Technologie sollte all diese Wege auch im Griff haben. Denn verschiedene wirksame Verfahren zur Bewältigung dieses Problems werden bereits im Informatikgrundstudium gelehrt.

Die Lösung

Wie bereits erwähnt, die Wahrheit liegt mal wieder in der Mitte. Zur Erinnerung, den Algorithmen ist es völlig egal, wie eine Kampagne aufgesetzt wird. Der wahre und einzige Grund zum Einsatz von Bid Factors (oder sollen wir uns auf Bietpreismodifikatoren einigen) sitzt vor dem Computer. Für den Anwender ist es extrem wichtig, komplexe Kampagnen in handhabbare Stücke zu schneiden, dabei helfen uns die Bid Factors. Nur so kann der Marketeer den Überblick behalten und optimieren, an den Stellen, an denen die Systeme heute noch überfordert sind oder sie Starthilfe benötigen, bevor genügend Daten eingesammelt sind.

Dieser Beitrag ist eine Replik auf den Gastbeitrag von Sacha Berlik, Programmatic: Das Fundament wackelt.

Bild Jochen Schlosser Über den Autor/die Autorin:

Dr. Jochen Schlosser ist Chief Technology Officer bei Adform, einer der weltweit größten Plattformen für Advertising-Technologie, und treibt das Gesamtprodukt in dieser Rolle global voran. Seit über 15 Jahren ist er einer der führenden Köpfe für Datenthemen und -strategien am Markt und hatte führende Positionen in unterschiedlichen Branchen (Pharma, Finanzen und natürlich Marketing) inne. Bevor er zu Adform ging, war Jochen Mitglied der Geschäftsleitung bei uniquedigital (SYZYGY Gruppe) und war in dieser Position innerhalb der Gruppe für das Thema Data-Driven Marketing verantwortlich. Als promovierter Informatiker – mit Nebenfach Psychologie – spricht, schreibt und tweetet er leidenschaftlich über alles Digitale und dessen Auswirkungen auf unser tägliches Leben.

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