Programmatic kommt für Mobile schnell(er)!
Frank Puscher, 26. April 2016Auf dem diesjährigen Mobile Advertising Summit in Berlin waren einige kritische Töne zu hören, was die Situation des Mobile Advertising angeht. Die Budgets hinken der Bedeutung von Mobile hinterher und die Branche ist daran nicht ganz unschuldig. Mangelnde Transparenz und fehlende Wirkungsnachweise sowie schlechte Datenqualität gehörten zu den Kritikpunkten. Programmatic Mobile war eines der meistdiskutierten Themen des Tages. Alle waren sich einig, dass der automatisierte Mediaeinkauf und die zugehörige Ausspielung der mobilen Werbemittel ein großer Treiber für die nächsten Jahre sind.
Es ist ein gutes Zeichen, wenn eine Branche mit sich selbst ins Gericht geht, vor allem dann, wenn es sich um eine der innovativsten Branchen handelt, in diesem Fall die Online-Werbung mit Schlagrichtung Smartphone. Vielleicht brachte es gleich der erste Vortragende Mark Stohlmann, Senior Marketing Manager bei Telefonica, am besten auf den Punkt: „Das Verbreiten von mobiler Werbung von einer Firma, die nicht mobile-ready ist, sollte ins Strafgesetzbuch aufgenommen werden.“ Nach wie vor findet Stohlmann jede Menge Kampagnen, die lieblos aus anderen Kanälen übertragen werden und nach dem Klick auf Seiten landen, die nicht für Smartphones optimiert sind.
Stohlmann eröffnete den zweiten Mobile Advertising Summit in der Kulturbrauerei in Berlin. 250 Digitalspezialisten folgten dem Ruf des Veranstalters. Passenderweise fand zeitgleich die AppWorld ebenfalls in Berlin statt.
Nach dem Initialreferat setzte Jens Barczewski, der Head of Digital Market Intelligence bei der GFK, den Rahmen mit Marktforschungszahlen. Die mobile Nutzung von Websites, insbesondere von Medienangeboten wächst rasant, gleichzeitig hinkt E-Commerce auf dem Smartphone noch hinterher. Kaufabschlüsse machen die User lieber auf dem Tablet oder auf dem Desktop-Rechner. Klar ist, dass der Großteil der Smartphonenutzung von einer Handvoll Apps wie Facebook, WhatsApp oder auch der Deutschen Bahn bestimmt wird. Die einzige Unterhaltungsanwendung, die in diese Phalanx einbrechen kann, ist das Quizduell.
Im Anschluss an diese Präsentation tagte das erste Panel. Das Thema waren eben die Apps und wie man die Leistungsfähigkeit der Smartphoneanwendungen tatsächlich misst. Tatsächlich scheinen in der Praxis Metriken, die sich an Unternehmenszielen ausrichten, noch keine überragende Bedeutung zu haben. Diskussionsteilnehmerin Katajuna Sorusch,Director Innovation bei MEC: „Aus politischen Gründen wird oft auf die Menge der Installationen optimiert, dabei weiß man doch, dass das falsch ist.“
Und wie falsch das ist, zeigte im Anschluss Paul Müller von Adjust. Er demonstrierte die Tricks und Kniffe, mit denen findige Betrüger Installationen vorgaukeln oder in ein anderes Land verschieben, um dann die entsprechenden Provisionen zu kassieren. „Eine Installation lässt sich sogar per Kommandozeile erzeugen“, pointierte Müller und plädierte für eine sehr genaue Betrachtung der Maßnahmen, die die jeweiligen Partner einsetzen, um Betrug zu vermeiden.
Mobile for Branding
Nach der ersten Pause konzentrierte sich Henric Ehrenblad, einer der Mitgründer von Widespace, auf die Markenwirkung von Mobile Advertising. Die allermeisten Nutzer klicken niemals auf Banner, also kann es nur ein Branding-Medium sein.
Ehrenblad sprach sich dafür aus, mit gut aufbereiteten Daten das Targeting zu verbessern und die Relevanz der Anzeigen zu erhöhen. Er berichtete von einem Fall, wo der Kunde „echte Kerle“ als Zielgruppe vorgegeben hatte, die Tests aber ergaben, dass schwangere Frauen die größere Nachfrage auslösten.
Im Anschluss daran widmete sich Julian Klein von Videobeat dem aktuell spannendsten Format, dem Bewegtbild. Auch Klein legte den Finger in die Wunde und geißelte ungenügend ausdefinierte Produktionsansätze. Kaum ein Online-Video werde sorgfältig für das Medium geplant. Die gelernten Konventionen, wie etwa der Button zum Überspringen des Videos auf YouTube, werden von den Werbungtreibenden schlicht ignoriert.
Die fehlende Mobile-First-Strategie war auch einer der Kritikpunkte, die Alisa Türck der Branche ins Stammbuch schrieb. Die Geschäftsführerin der Hamburger Agentur Pilot stellte aus Sicht der Agentur und ihrer Kunden dar, dass es eine ganze Reihe von Problemen gibt, die es zu lösen gilt, bevor die Budgets im mobilen Segment steigen. Vor allem fehlt es der Hamburgerin an standardisierten und skalierbaren Formaten für Branding. Die Alltagsarbeit ist viel zu kleinteilig.
Direkt im Anschluss ergänzte Jan Gräwen, der Country Manager Germany von YOC, die Vermarkterperspektive auf diese Problematik. Aus sieben Jahren praktischer Erfahrung mit Mobile Advertising leitete Gräwen ab, dass Kunden einfach auch oft schlecht beraten würden. Lokalisierung auf den Meter genau sei in den meisten Fällen völlig irrelevant, weil der Kunde mit etwas anderem beschäftigt sei, im Zweifel spielt er gerade Quizduell.
Zum Abschluss des Vormittags diskutierte eine Viererrunde über den Stand der mobilen Werbung aus Sicht der Mediaplanung. Richard Ugwu, Innovation Business Manager bei der Metro Group, machte deutlich, dass sein Schwerpunkt tatsächlich auf Facebook und Google als Plattformen liegt, weil diese Reichweite und einfaches Handling vereinen. Christian Heger von Widespace verdeutlichte, dass die niedrigen TKPs im mobilen Segment eine fatale Einstiegsdroge seien. Sie verleiten dazu, sich um die Kampagne einfach nicht sorgfältig zu kümmern.
Content funktioniert
Nach der Mittagspause trat Jean Baptiste Godinot auf die Bühne und eröffnete dem Publikum eine neue Werbewelt, die Online-Games. Aus Godinots Sicht wird das Thema Gaming nach wie vor falsch verstanden. Es wird mit Videogames gleichgesetzt und bei digitalen Nerds verortet, dabei spielt längst jeder, auch Godinots Großmutter. Das hohe emotionale Engagement der Nutzer in Spielen ließe sich wunderbar nutzen, um positive Abstrahlung auf Marken zu erzielen.
Ganz ähnlich war auch der Ansatz von Jan Firsching von Futurebiz. Zunächst zeigte er, welche mobilen Werbemöglichkeiten es auf Instagram und Snapchat gibt, wobei Snapchat noch in einem sehr frühen Stadium ist. Dann spitzte er den Ansatz auf die Zusammenarbeit mit Influencern auf den jeweiligen Kanälen zu. Auch hier profitieren die Marken von der Strahlkraft der populären Protagonisten. Einzige Voraussetzung: Man sollte sich Zeit nehmen für die Zusammenarbeit, damit die Instagramer eigene Ideen entwickeln und beitragen können, die auch zu ihrem Publikum passen.
Darauf fokussierte sich Victor Navarro von Sizmek ganz auf das Thema lokaler Content. Er sieht den Ortsbezug als einen der wichtigsten Parameter, um den Nutzer in seiner jeweiligen Lebenssituation perfekt abzuholen. Im Beispiel zeigte er eine Kampagne einer britischen Supermarktkette, die explizit nur im geographischen Umfeld ihrer Märkte wirbt.
In der anschließenden Podiumsdiskussion thematisierten die Teilnehmer mit Programmatic Mobile eines der meistdiskutierten Themen des Tages. Alle waren sich einig, dass der automatische Kauf und die zugehörige Ausspielung der mobilen Werbemittel ein großer Treiber für die nächsten Jahre sind. Allerdings wird vermutlich Programmatic Video schneller wachsen als Programmatic Native Advertising. Für letzteres fehlen noch die Standards.
Die Online-Offline-Beziehung
Der letzte Block des Tages widmete sich unterschiedlichen Facetten der Kanalverknüpfung. Den Auftakt machte Tom Rauhe von Mobalo. Er präsentierte einen besonderen Fall. Er hatte den Auftrag, Flüchtlinge in der Umgebung von Flüchtlingsheimen anzusprechen.
Mobalo identifizierte eine Reihe arabischer Apps, die in diesen Umfeldern stark genutzt wurden, platzierte dort Kommunikationsbotschaften der jeweiligen Flüchtlingsbeauftragten und spielte diese „Werbung“ über programmatische Anbindungen aus. „Eine solche spitze Zielgruppe kann man eigentlich gar nicht anders erreichen“, sagt Rauhe.
Jörn Grunert, der Geschäftsführer von Exactag, stellte die Verbindung her zwischen mobiler Werbung und dem Kauf im Versandhandel. Während die Menge der Käufe auf Smartphones sich kaum verändert hat, übersehen viele Unternehmen, dass sich die Rolle der Handys bei der Kaufvorbereitung gewaltig gedreht hat. In fast allen Phasen der Kundenreise spielen mobile Geräte inzwischen eine bedeutende Rolle.
Eine Offline-Beziehung besondere Art stand im Mittelpunkt des Vortrags von Ravi Kamran, dem Gründer von Trademob. Er möchte gerne den Begriff Retargeting weiter fassen und zum Beispiel Nutzer, die eine App früher heruntergeladen, aber nur selten genutzt haben, an die Nutzung dieser App erinnern. „Das ist wesentlich günstiger, als sich neue Installationen einzukaufen“, sagt Kamran.
In der letzten Podiumsdiskussion des Tages ging es um den Stand der mobilen Werbung und deren Zukunft. Allen Teilnehmern war anzumerken, dass man sich Sorgen darüber macht, dass das Thema Adblocking auch im mobilen Bereich ein Problem für die Werbeindustrie werden könnte. Oliver von Wersch, Geschäftsführer von G+J Digital Products, erkannte allerdings Lerneffekte aus den Diskussionen der letzten Jahre: „Wir haben die Menge der Werbung auf den Seiten deutlich reduziert. Bislang ist Adblocking im mobilen Segment bei uns kaum messbar.“ Einig war sich das Panel auch darüber, das Videoadvertising im mobilen Segment der spannendste Wachstumsfaktor ist, während im Bereich Native Advertising noch ein ziemliches Chaos hinsichtlich der Formate und Definitionen herrscht.
Den krönenden Abschluss des Tages gestaltete Richard Harless, der Country Manager Deutschland von Shazam. Er konnte mit mehreren Fallstudien zeigen, dass das Smartphone eine spannende Verbindung zwischen Digital und Klassik darstellt. „Die Vodafone-TV-Spots werden im Monat 200 000 Mal in Deutschland mit unserer App erfasst.“ Folglich bietet eine solche Lösung auch die Möglichkeit, TV-Inhalte mit einer Online-Kampagne zu synchronisieren.
Am Ende eines langen und voll gepackten Tages genoss die versammelte Mobile Advertising Community die letzten Sonnenstrahlen auf der Terrasse der Kulturbrauerei. Ein Teilnehmer resümierte: „Die inhaltliche Konsistenz des Tages ist wertvoller, als so mancher Besuch bei universelleren Großveranstaltungen.“ Dem bleibt nichts hinzuzufügen.
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