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ECOMMERCE

Online-Shops wollen mit Customer Experience punkten

Kristina Schreiber, 7. Januar 2015

Herzklopfen. Kundenpuls rast. Atem geht stoßweise. – Erregte, kaufbegeisterte Shopper entzücken auch Online-Händler: Dank des Herzklopfens klingelt nämlich die Kasse. Damit das Kundenblut so richtig schön in Wallung gerät, setzen immer mehr Shop-Betreiber auf begehrlichen Content als integralen Bestandteil ihrer Customer Experience („CX“). Doch was steckt hinter dem emotionsgeladenen Ansatz? Und wann rechnet sich der Aufwand, mit Online-Passion gegen den geilen Geiz oder das nüchterne One-Click-Shopping der Amazons dieser Welt zu Felde zu ziehen?

„Inspirieren Sie mal rund um Elektrogroßgeräte!“

In Kunden Leidenschaft zu entfachen, scheint ein guter Entwurf gegen den Preiskampf in unseren gesättigten, preistransparenten Märkten mit den steigenden Akquisekosten zu sein. Viele Händler konzentrieren sich lieber auf nachhaltigere Strategien mithilfe von inspirierenden Geschichten und Produktinszenierungen. Immerhin: „Content verkauft“, erklärt André Morys, Vorstand des Bad Homburger Conversion-Optimierers Web Arts. „Kunden brauchen, je nachdem, wo sie sich in der Customer Journey befinden, Inhalte, damit sie shoppen.“

Das untermauert die Studie, die BurdaDirect mit dem Labor Medienforschung der Hochschule Offenburg veröffentlicht hat. Für die BurdaDirect-Shops, den Digitalfloristen Valentins und den Edle-Tropfen-Händler Silkes Weinkeller, erforschten sie, welche Strategien die Kaufwahrscheinlichkeit befeuern. Demnach goutieren Kundinnen emotionale Bildatmosphären eher als Männer – vor allem ohne ablenkende Banner und großflächige Pop-ups. Eine Produktübersicht über Bildreize beschleunige bei beiden Geschlechtern die Produktauswahl und reduziere die bewusste Preiswahrnehmung. Während großflächige Visuals der Orientierung am Anfang des Kaufprozesses dienten, verlören Blickfänger im weiteren Verlauf an Bedeutung. Diese Erkenntnisse veranlasste etwa Silkes Weinkeller, den E-Shop übersichtlicher zu gestalten: Auf der Startseite landeten weniger, aber dafür größer abgebildete Artikel. Zudem wurden persönliche Produktempfehlungen der Mitarbeiter in die Plattform integriert.

Web Arts André Morys

„Ob der Kauf auf einem Procurement-Portal wie Amazon oder bei einem Storyteller der emotionalen Handelsliga über die Bühne geht, hat mit dem Gefühl zu tun“, erläutert Morys. Ein Fahrrad interessiere über seine Features. Damit überzeugten emotionsgeladene Stories in Shops insbesondere die Unentschiedenen. Gerade Geschichtenerzähler schafften es, kognitive Dissonanzen („War meine Kaufentscheidung richtig?“) nach einer emotional getroffenen Entscheidung mit rationalen Argumenten zu zerstreuen. Bei der Umsetzung braucht es indes Hirnschmalz: „Content auf seinen Seiten verankern, ist besonders anspruchsvoll, wenn Sie über die relevantesten Hero-Teaser rund um Elektrogroßgeräte inspirieren müssen“, skizziert Morys.

Das gilt allerdings auch für Mode: „Wir müssen für alle Einkaufsszenarien den passenden Einstieg in unser Angebot bieten“, untermauert Christoph Lütke Schelhowe, Vice President Customer Experience beim Berliner Modehändler Zalando. Neben Kontext, schneller, unkomplizierter Navigation und klar strukturierter, präziser Suche stehe und falle Storytelling mit dem Erfolg der Bedarfsweckung: Selbst Kunden, die bei vorherigen Käufen nach Preis und Service entschieden, vertrauten oft beim nächsten Shop-Besuch auf Zalandos contentlastiger Mode-Expertise, suchten nach passenden Outfits für bestimmte Anlässe oder ließen sich per „Couchsurfing“ vom Tablet aus inspirieren, berichtet Lütke Schelhowe.

Öfter mal was Neues testen

zalando Christoph Lütke Schelhowe

Klar, dass Zalando vor diesem Hintergrund den Blend seines Contents mit dem E-Commerce zur Chefsache erklärt hat: Da gehört neben der Ankündigung, 2015 ins Curated Shopping einsteigen zu wollen, auch Spielerisches wie die Fotosuche via Zalando-App zur Customer Experience; per Bildvorlage können Kunden nämlich nach ähnlichen Produkten stöbern. Die Berliner ließen zudem Mitte Dezember einen Testballon steigen: Das #Zalandohangout strahlte einen im kleineren Kreis beworbenen 30-minütigen Video-Mode-Plausch mit Moderatorin Hadnet Tesfai und Styling-Beraterin Suzie Grime aus. Im Livevideo erfuhren Fashion Victims alles über das perfekte Silvester-Styling 2014. Sie konnten in Echtzeit Fragen an die beiden Expertinnen stellen und bekamen passende Trendartikel aus dem Zalando-Sortiment vorgestellt. Per Shopverlinkung zu den Teilen entwickelt das reichweitentechnisch ausbaufähige Format direktes verkaufsförderndes Potenzial. Der personalisierte Feed „Dein Zalando“ auf Zalando.de hilft unterdessen eingeloggten Kunden, passende Outfits anhand von eigenen Präferenzen im Sortiment der Berliner zu finden. „Für uns stellt sich nicht die Frage, ob wir in die Customer Experience investieren, sondern an welchen Touchpoints wir mit den Kunden besser auf deren Bedürfnisse eingehen können“, resümiert Lütke Schelhowe.

Wenn die Mode-Geeks vom Berliner Curated-Shopping-Pionier Kisura Inhalte inszenieren, erzählen sie etwa über ein „Behind the Scenes“ von Menschen und Produkten und sorgen außerdem für soziale Interaktion. Aber so, dass die Art der Contentumsetzung zum Qualitätsniveau des Sortiments passe. Ein Beispiel: „Luxusmode benötigt ein stärkeres Einkaufserlebnis als die Produkte eines Modediscounters. Wenn ich als Kundin Stella-Mc-Cartney-Blazer konsumiere, erwarte ich eine andere Art der Customer Experience als bei der Vermarktung eines 30-Euro-Vero-Moda-Kleids“, veranschaulicht Kisura-Gründerin Tanja Bogumil. Darum inszeniere ein Online-Shop sein Qualitätsniveau idealerweise adäquat und konsistent an jedem einzelnen Kundenkontaktpunkt. Die falsche Balance zwischen Customer Experience und Sortiment zerstöre indes die Marke.

Rechtfertigt der Erfolg den Einsatz der Mittel?

left Tanja Bogumil

Tests müssen den Erfolg neuer Inspirationskonzepte an den Touchpoints außerdem belegen. Je individualisierter die Konsumentenansprache, desto relevanter muss diese für den Kunden ausfallen. „Zalando setzt hier sowohl auf Individualisierung als auch auf Zielgruppensegmentierung“, betont Lütke Schelhowe. Ob sich Angebote und Kundenwünsche decken, findet Kisura indes mithilfe von Befragungen heraus, „um ein Gespür für den Zusammenhang von Mehrwerten, Personaleinsatz, Effektivität und Effizienz zu erhalten und auch eventuelle destruktive Elemente zu erkennen und Ressourcen intern richtig zu allokieren“, so Bogumil.

Der Teleshopping-Sender QVC hat mit Web Arts unterdessen getestet, inwieweit einfache Contentoptimierung bei überschaubarem Zeitaufwand zu mehr Absatz führt. Ein Test bei vier Produkten aus Kosmetik, Reinigung und Küchenzubehör belegt einen bis zu 15 Prozent höheren Revenue, berichtet Web-Arts-Chef Morys: Als QVC die Marke eines Nagel-Pflege-Sets beispielsweise stärker beschrieb, Tipps und Beratung sowie Inhalte aus TV-Mitschnitten auf der Produkt-Site integrierte, ebenso wie animierte Grafiken, Bloginhalte, Zusatzinformationen vom Hersteller, weitere Produktbilder und Gütesiegel, stieg die Konversion um 9,4 Prozent und führte zu 14,2 Prozent Mehreinnahmen. „Die Erfolgsquoten – bezogen auf den besten Kosten-Nutzen-Faktor – lassen sich weiter steigern, wenn Händler ihren Content sinnvoll in ihren Shop integrieren“, resümiert Morys. Sinnvoll stehe hierbei indes nicht zwingend für langatmige Texte.

Skalieren, ein Widerspruch?

Doch geht Content-Optimierung nur „per Hand“, obwohl der E-Commerce mit Pfunden wie Skalierung und Automatisierung wuchern kann? „Technische Enabler dürfen wir nur so stark einsetzen, als dass eine Kundenberatung qualitativ keine kontraproduktive Zügen annimmt“, erläutert Bogumil am eigenen Shop. Die eigenentwickelte Matching Machine von Kisura unterstützt die dortigen Styling-Berater etwa bei der Suche nach passenden Produkten. Aber: „Die Maschinen ersetzen nicht die Beratung und das zwischenmenschliche Kundenerlebnis“, erklärt die Kisura-Chefin. Kurzum: Kein Händler kommt daran vorbei, das Kundenverhalten zu verstehen und qualitative Typen – manuell – zuzuordnen. Laut Web-Arts-Vorstand Morys sei beides auch in Zeiten von Big Data nicht hundertprozentig automatisierbar.

Bild Kristina Schreiber Über den Autor/die Autorin:

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