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ADTECH

RTA-Spezial-Agenturen betreiben Cookie-Spreading 2.0

Wolfgang Bscheid, 3. Juni 2014

Post-View-Bewertungen sind immer ein zweischneidiges Schwert. Zum einen sind sie gut: Weil sie berücksichtigen, dass Display-Maßnahmen auch Leistung erbringen, wenn man sie „nur“ sieht und nicht klickt. Zum anderen laden sie zum Missbrauch ein: Einschlägige und unzählige Beispiele aus dem Affiliate-Marketing haben gezeigt, dass eine rein provisionsgetriebene Bewertung nicht nur zum Cookie-Spreading führt, sondern auch zu ungerechtfertigten Mehrausgaben auf Seiten der Werbungtreibenden.

Wer die Berichterstattung der Fachmedien in diesen Tagen aufmerksam liest, stellt fest: Post-View-Bewertungen feiern ein Revival – und zwar an ungeahnter Stelle. Nämlich bei Dienstleistern, die auf Real-Time Advertising spezialisiert sind – also eigentlich auf eine profilbasierte, zielgruppengenaue Auslieferung. Warum entdecken diese Firmen den Sichtkontakt als Währung für ihre Leistung? Wir haben da eine Vermutung.

Auch deshalb haben wir in den vergangenen Wochen getestet, ob Kampagnen, die vom Algorithmus der RTA-Spezialanbieter gesteuert werden, besser abschneiden als die Leistungswerte „herkömmlicher“ Performance-Kampagnen. Das Ergebnis war ernüchternd:

So setzten wir im ersten Quartal dieses Jahr für einen E-Commerce-Anbieter eine Reichweitenkampagne mit drei Komponenten auf, deren Erfolg nach dem Verhältnis des eingesetzten Budgets zum erzielten Online-Umsatz bewertet wird, also dem Kosten-Umsatz-Verhältnis (KUV). Zum Vergleich standen eine Retargeting-Buchung, eine konventionelle Schaltung von Performancereichweite sowie eine Buchung über ein RTB-Adnetwork. Letztere schloss über ein Blacklisting bestimmte Seiten aus und lieferte die Werbemittel in einer Mischung aus Retargeting und "Prospecting" aus.

Das RTB-Adnetwork bewertete sich selbst mit folgenden KPIs: Erfolgreich zugerechnet wurde ein Sale, wenn der User 30 Tage nach dem Klick kaufte oder 7 Tage nach dem Sichtkontakt (30 Tage Post-Click-Last-Click / 7 Tage Post-View-Last-View). Anhand dieser Kenngrößen ermittelte das RTB-Network nach dem Ende der Kampagne ein sensationell klingendes Kosten-Umsatz-Verhältnis von 10 Prozent. Das würde bedeuten, dass die Kampagne mit 1 Euro Mediabudget 10 Euro Shop-Umsatz erzielt hätte. Die Nachprüfung über das kundeneigene Tracking, das lediglich die User berücksichtigt, die sieben Tage nach dem letzten Klick gekauft hatten (7 Tage Post-Click-Last-Click), ergab für die drei Kanäle dagegen ganz andere Werte:

Die Retargeting-Kampagne erzielte mit einem KUV von 49 Prozent (ein eingesetzter Media-Euro ergibt rund 2 € Shop-Umsatz) eine vergleichsweise normale Leistung. Auch die Performance-Displaykampagne kam – ohne Gewichtung – mit einem KUV von 120 Prozent auf einen Wert, der im Rahmen vergleichbarer Kampagnen liegt.

Dramatisch schlechter schnitt jedoch die Kampagne im RTB-Adnetwork ab. Beurteilt man sie ausschließlich auf Klick-Basis (und nicht wie selbst gewählt auf Post-View-Basis), erzielte sie ein KUV von 410 Prozent. In Worten: Für den eingesetzten Media-Euro erwirtschaftete die RTB-Kampagne lediglich 25 Cent Umsatz im Shop.

Weil das kein Einzelfall ist – und dies auch die RTA-Spezialdienstleister erkennen –, fangen einige Anbieter nun an, die Leistungsfähigkeit der eigenen Systeme schönzurechnen. Statt auf Klick-Basis argumentieren sie verstärkt auf Post-View-Basis und gehen auf schiere Reichweite.

Und so funktioniert der Trick: Im programmatischen Einkauf gibt es natürlich auch die Möglichkeit, User/Profile nur einmal anzunehmen, also das Frequency Cap auf 1 zu stellen. Statt gezielt auszusteuern, wird dadurch eine große Reichweite aufgebaut und bei möglichst vielen Usern ein Cookie gesetzt. Diese Methode erhöht dann natürlich die Wahrscheinlichkeit, dass aus der schieren Masse gesetzter Cookies Conversions abgeleitet werden können. Parallel wird below the fold, also mit Bannern im nicht sichtbaren Bereich, mit kleinen Formaten und günstigen Reichweiten gearbeitet. Statt Nutzer möglichst zielgenau anzusprechen, wird ein klassischer Reichweiteneffekt eingebaut. Mit einer Optimierungslogik ähnlich wie im Affiliate-Marketing. Nur dass es diesmal nicht um mehr Provision geht, sondern um den Beweis, dass das eigene Geschäftsmodell der RTA-Dienstleister funktioniert.

Mit gezieltem Einkauf hat das wenig zu tun. Statt eine optimale Kampagne im Sinne des Werbungtreibenden zu realisieren, wird versucht, die Leistung des eigenen Kanals zu schönen. Post View verdient also auch bei RTA eine ganz genaue Nachbetrachtung der Leistungsdokumentation. Mein Tipp: Vergleichen Sie das Post-Klick- zu Post-View-Verhältnis ihrer normalen Kampagnen mit dem von RTA-Kampagnen. Liegt der Post View-Anteil bei RTA extrem hoch, sollte man genau überprüfen, wie die Buchungen en détail aussehen.

Über den Autor:
Wolfgang Bscheid (51) ist seit Februar 2001 Gründer und geschäftsführender Gesellschafter der mediascale GmbH & Co. Seit Januar 2008 verantwortet er zudem als 1. Vorsitzender die Geschäfte der Forschungsgemeinschaft neue Medien e.V. „Zukunft Digital“ (www.zukunft-digital.de). Bereits 1997 war Bscheid Gründungsmitglied der Plan.Net-Gruppe, einem Unternehmen der ServicePlan Gruppe, und führte von 1999 bis 2001 die Geschäfte der Plan.Net media.

Bild Wolfgang Bscheid Über den Autor/die Autorin:

Wolfgang Bscheid ist Geschäftsführer der Media-Agentur Mediascale.

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