Facebook Exchange weckt Hoffnungen in der Branche
Svenja Florien Böhm, 5. July 2012Mitte Juni überraschte Facebook mit seiner Bekanntgabe, das eigene Inventar sehr bald auch in Deutschland für den dynamischen Mediahandel über Realtime Bidding (RTB) anzubieten. Ein kühner Schachzug zur rechten Zeit. Denn Facebook braucht seit dem Börsengang höhere Werbeeinnahmen, um wieder die Fantasie am Aktienmarkt zu beflügeln. Schließlich sitzt Facebook auf einen Berg von Nutzern und Profilen. ADZINE fragte in der Branche nach, wie sie den angekündigten Launch der Facebook Exchange bewerten.
Die Gerüchteküche brodelt. Zehn Unternehmen sollen bereits die Facebook Exchange als „Closed Shop“ testen. Darunter angeblich auch der Retargeting-Riese Criteo. Warum die Facebook Exchange die Fantasie beflügelt, ist klar: Allein in Deutschland sind es laut Facebook 20 Millionen Menschen, die über ein Facebook-Konto verfügen und das Social Network auch aktiv und regelmäßig nutzen. Weltweit sind es gar 900 Millionen. Es liegt nahe, dass die Wahrscheinlichkeit hoch ist, dass ein Online-Shop oder sein Retargeting-Dienstleister im weltweit größten Social Network fündig wird und so seinen kürzlichen Shopbesucher mit passender Displaywerbung wieder ansprechen könnte. Das alles in einer fast privateren Atmosphäre auf der „eigenen“ Facebook-Seite des Nutzers. Das lässt das Herz der Online-Marketing-Branche höher schlagen, oder?
Marco Dohmen, Managing Director, DQ&A Deutschland
Facebook Exchange wird noch nicht dagewesene Targeting-Möglichkeiten für Display auf Social Media bieten. Während wir aktuell Retargeting-Kampagnen auf Facebook über mehrere Display-Partner erfolgreich und skalierbar aussteuern, glauben wir daran, dass das eigene Facebook-Angebot die Möglichkeit für Werbetreibene verbessern wird, den Nutzer mit der richtigen Kommunikation im richtigen Moment zu erreichen. Facebook hat die Leistungsfähigkeit, das Display-Ecosystem durch seine Größe und die Menge an Nutzersegmenten aufzumischen, genau wie es Google mit AdSense und Ad Exchange getan hat, sobald Facebook entscheidet, den Exchange über Facebook hinaus zu expandieren ... und dies ist nur eine Frage der Zeit.
Dirk Henke, Vice President Business Development, Criteo
Dieser Schritt Facebooks ist eine willkommene Öffnung eines umfangreichen, exklusiven und globalen Inventarpools. Er versetzt Retargeting-Anbieter erstmals in die Lage, Nutzer nach Verlassen des Online-Shops eines Kunden auch auf Facebook anzusprechen; und das auch sehr effizient in Echtzeit. Für das Thema RTB bedeutet die Facebook Exchange insgesamt einen großen Schub, da die Menge bislang nicht in Echtzeit gehandelten Inventars weitere werbetreibende Unternehmen anlocken wird und sich viele Unternehmen auch im deutschen Markt noch intensiver mit RTB auseinandersetzen müssen. Das wird unter anderem dem deutschen Markt gut tun: Auch wenn bereits einiges exklusives Inventar über RTB verfügbar ist, hinkt Deutschland im internationalen Vergleich noch immer hinterher. Lokale Vermarkter werden den neu entstehenden Konkurrenten um die Performance-Budgets ihrer Werbekunden sicher genau beobachten, lokale Netzwerke wie StudiVZ nun auch auf der Vermarktungsseite noch weiter herausgefordert.
Vincent Karachira, Gründer und CEO von Next Performance
Wir sehen das als eine Möglichkeit, für uns Facebook-Inventar einkaufen zu können. Für uns sind das gute Nachrichten, da wir unsere Reichweite erhöhen können. So können wir nun auf neues Facebook-Inventar unsere Gebote abgeben.
Tobias Kiessling, CTO intelliad Media GmbH
Wir schätzen, dass Facebook mit seiner neuen Facebook-Exchange-Plattform das Fünffache an Werbeeinnahmen generieren kann. Denn durch die Retargeting-Mechanik wird die Klickrate auf Facebook Ads entsprechend steigen und damit auch der Revenue für Facebook. Limitierend wirkt sich aus, dass sich nicht alle Ad Impressions auf Facebook vermarkten lassen. Dies ist begründet durch die lange Verweildauer der User auf Facebook. Hier muss durch ein User Capping verhindert werden, dass einzelne Nutzer zu stark mit immer derselben Anzeige penetriert werden. Auch die Anzahl der Advertiser spielt in diesem Zusammenhang eine Rolle. Denn je höher die Vielfalt an Ads ist, desto mehr Ads können einem User gezeigt werden, bevor ein mögliches Capping greift.
Ben Moehlenhoff, Social Media Specialist bei der eprofessional GmbH
Das sind großartige Neuigkeiten – und zwar für Werbekunden ebenso wie für Aktienbesitzer. Facebook-Retargeting wird die Bedeutung von Facebook-Advertising als Verkaufskanal enorm steigern. Denn auch wenn viel über Customer-Journey-Tracking gesprochen wird, werden die Klickpfade selten ernsthaft analysiert und es heißt meistens: „last cookie wins“. Mit Facebook-Retargeting wird die Facebook-Anzeige zukünftig öfter am Ende der Klickkette stehen und somit auch als Conversionkanal wichtiger. Das volle Potenzial kann allerdings erst dann ausgeschöpft werden, wenn man das Retargeting mit den Targetingmöglichkeiten von Facebook kombinieren kann. Das geht im ersten Schritt leider noch nicht. Für Facebook ist dies seit dem IPO schon mal ein entscheidender Schritt in Richtung Monetarisierung.
Lothar Krause, Vice President Sales, sociomantic labs GmbH
Facebook Exchange wird eine Fülle von neuem Inventar bieten, das jetzt über RTB für datenbasiert ausgesteuerte Kampagnen genutzt werden kann. Das bedeutet für eine steigende Zahl performance-orientierter Advertiser nun die reelle Chance, erfolgreiches Realtime Retargeting und generell effektiven, datenbasierten Traffic-Einkauf über Facebook betreiben zu können. Neben den enormen Möglichkeiten der Skalierung wird der Exchange allerdings auch ein gewisses Maß an Limitierungen mit sich bringen. Die Wichtigste dürfte dabei das spezielle Facebook-Werbemittelformat sein, welches außerhalb des Display-Standards liegt. Generell freut es uns natürlich, dass Facebook die Vorteile des Inventarverkaufs über RTB erkennt. Der Trend, und nicht erst seit der Ankündigung von Facebook, dass professionelle innovative Publisher ihr Inventar über RTB zur Versteigerung anbieten, ist schon länger nicht mehr aufzuhalten. Ich bin sehr gespannt, wie sich Facebook Advertising mit der Öffnung für die neue Generation von Einkäufern in den nächsten Monaten entwickeln wird.
Shachar Radin, Vice President Marketing, myThings
myThings glaubt, dass Facebook´s neue Exchange und der Zusammenschluss mit RTB ein weiterer Beweis der durchschlagenden technologischen Entwicklungen im Display Advertising sind, besonders im Tandem mit dem schnell wachsenden automatisierten Mediaeinkauf. Das Übereinanderlegen von Konsumentendaten einer Kundenseite (über einen Retargeting-Anbieter wie myThings) an die Spitze von Facebook´s massiven Datenpool mit seinen sozialen Verbindungen und User Demographischen Daten hat ein enormes Potential. Ein Volumensprung von Miliarden von Impressions auf Facebook und woanders, die nun für verstärktes real-time Targeting verfügbar sind, wird damit auch einen großen Vorteil für die Werbekunden bieten können. Dies könnte eine großartige Möglichkeit für myThings sein und wir prüfen derzeit die Möglichkeiten einer Kooperation mit Facebook.
Simon Robinson, Senior Director Marketing & Alliances EMEA bei Responsys
Ich glaube, dass Facebook Exchange zu einem wichtigen Tool werden kann, durch den der Display-Kanal mit Social-Media-Informationen verknüpft wird. Um erfolgreich mit Verbrauchern und potenziellen Kunden zu interagieren, müssen Marketingfachleute lernen, verschiedene Kanäle zu berücksichtigen. Dafür könnte Facebook Exchange die perfekte Gelegenheit sein. Zum ersten Mal haben Marketingexperten jetzt die Möglichkeit, CRM-Daten auch für den Social-Media-Kanal zu nutzen. Natürlich ist es noch sehr früh, aber Facebook Exchange ist richtig positioniert, um den Trend in Richtung Display Relationship Retargeting zu unterstützen und außerdem Cross-Channel-Marketing über die Kanäle E-Mail, Mobile, Web, Social und Display voranzutreiben.
Christoph Schäfer, Geschäftsführer Performance Media Deutschland GmbH
Retargeting bei Facebook wird den deutschen Display-Markt nicht fundamental ändern, da Retargeting lediglich einen geringen Prozentsatz des Gesamtmarkts ausmacht und sich dieser durch Facebook auch nicht strukturell erhöhen wird.
Im Ergebnis wird Facebook a) das Retargeting-Segment leicht vergrößern (mehr sinnvoll einsetzbares Mediavolumen) und b) eine höhere Wettbewerbsintensität im Verkauf von Retargeting-Traffic bewirken (nicht effiziente Retargeting-Platzierungen können durch Facebook ersetzt werden).
Für Facebook selbst ist Retargeting zweifelsohne eine sinnvolle Maßnahme, da die Klickraten auf die vergleichsweise kleinen Facebook Ads stark steigen werden. Damit wird Facebook den erlösten realen TKP in Bezug auf den relevanten Trafficanteil wohl um den Faktor 3 bis 10 steigern können.
Offen ist, wie Facebook bzw. die DSP-Partner mit den Cookiedaten der Werbungtreibenden umgehen wird. Eine Weiterverarbeitung dieser Kundendaten seitens Facebook gleich in welcher Form (auch in aggregierter Form) würde seitens der Werbungtreibenden sicher strikt abgelehnt werden.
Andreas Schwibbe, CEO adnologies
Dass Facebook mit einer eigenen Exchange startet, ist insofern interessant, da jede einzelne Impression aus dem Inventar von Facebook nun für den tatsächlichen Mediawert eingekauft werden kann. Performance-basierte Kampagnen könnten von der Reichweitensteigerung in Kombination mit RTB profitieren. Die Facebook-Daten würden diese Exchange einzigartig machen und idealerweise ergänzen, um Retargetern neue, einzigartige Möglichkeiten zu bieten. Die Daten sind aber offenbar nicht Teil der Exchange, so bleibt es lediglich bei einer weiteren Exchange und dem Versprechen, mittels RTB auf dem großen Facebook-Inventar einen zur Kampagnenperformance passenden Preis zu erzielen.
Andreas Wolfes, Head of Business Development retarget media
Sobald Facebook die Betatestphase für seine Exchange abgeschlossen hat, werden wir mit Facebook im Detail sprechen, inwiefern eine Zusammenarbeit Sinn macht - Facebook bietet uns schließlich ein interessantes Reichweitenpotenzial. Die Beurteilung, ob eine Aussteuerung unserer Retargetingkunden über die DSP-Lösung dann tatsächlich Sinn machen könnte, hängt von mehreren Faktoren ab:
Zum einen davon, inwiefern die Möglichkeit besteht, zusätzliche Publisher darüber anzusteuern. Sofern es eine "Insellösung Facebook" bliebe, wäre dies für uns natürlich weiter eine relevante, weil reichweitenstarke Trafficquelle, aber weniger spannend, um bspw. publisherübergreifend aussteuern zu können. Wir werden die Möglichkeiten von Facebook Exchange unter zwei weiteren Gesichtspunkten im Sinne unserer Shopkunden beleuchten:
Facebook bietet als Publisher nutzergenerierten Content, mit dem wir bisher eher unterdurchschnittliche Erfahrungen hinsichtlich der Performance für unsere Shopkunden gesammelt haben. Zum anderen werden wir berücksichtigen, dass Facebook eine besondere Stellung in der Wahrnehmung der Nutzer hinsichtlich des Themas Datenschutz einnimmt. Insofern muss man schauen, ob vor diesem Hintergrund Retargetingkampagnen von den Nutzern wirklich positiv aufgenommen werden. Wir sind also gespannt, welche Möglichkeiten Facebook Exchange zukünftig anzubieten hat, und werden das im Sinne unserer Shopkunden kritisch unter die Lupe nehmen.
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