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DISPLAY ADVERTISING

Scharfe Werbung aus Nürnberg

Sandra Goetz, 8. März 2012

ad pepper media gehört zu den Urgesteinen unter den digitalen Werbevermarktern in Deutschland. 1999 wurde das Unternehmen von Ulrich Schmidt und vier weiteren Gründungsgesellschaftern aus der Taufe gehoben, ein Jahr später ging ad pepper als einer der ersten Online-Vermarkter an die Börse. Während AdLink und Arbo Media Börsengeschichte sind, ist das in Amsterdam und Nürnberg ansässige Unternehmen mit 15 Niederlassungen in neun Ländern lebendiger denn je. Ein Gespräch mit Ulrich Schmidt, dem Geschäftsführer und Vorstandsvorsitzenden, über die richtige Marktpositionierung, Realtime Bidding und „Was ist Was?“.

Adzine: Herr Schmidt, viele Unternehmen aus der digitalen Werbewirtschaft der ersten Generation gibt es heute so nicht mehr. Sind die, die es bis heute geschafft haben, nun besser aufgestellt denn je?**

Ulrich Schmidt

*Das würde ich so nicht sagen, denn es ist nach wie vor ein sehr wettbewerbsintensiver Markt, in dem wir uns befinden. Man muss sich permanent neu erfinden und bereit sein, die Geschäftsmodelle schnell und komplett zu ändern. Es gibt zwei Dinge, die wir meiner Ansicht nach richtig gemacht haben. Erstens haben wir das Geld, welches wir durch den Börsengang bekommen haben, nicht für Unfug ausgegeben, insbesondere nicht für überteuerte Unternehmensbewertungen und Akquisitionen … Wir waren sparsam und sind sehr hanseatisch kaufmännisch vorgegangen, wenn wir Unternehmen zugekauft haben.
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Zweitens haben wir unsere Produktpalette über das gesamte Online-Portfolio erweitert und diese durch massive Investitionen in eigene Technologien unabhängig und flexibel gemacht.*Was sind die weiteren Erfolgsgeheimnisse von ad pepper?
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Anpassungsfähigkeit ist neben unserer Kosteneffizienz ein weiteres Merkmal. In den letzten zehn Jahren haben wir unsere Geschäftsmodelle mehrmals in neue Geschäftsbereiche erweitert oder auch umgestellt. In den ersten Jahren des neuen Millenniums gab es nur Einzelseitenvermarktung, Tausender-Kontakt-Preise, also TKPs, oder auch die vertikale Buchung von Einzelseiten – also etwas, das heute so kaum noch stattfindet. Diese Entwicklung haben wir vielleicht eher als andere vorhergesehen und uns deswegen auf den Performancebereich fokussiert. Dort haben wir Teile des Medienrisikos übernommen und Werbekunden zahlen nur für geleistete Leads oder Kunden. *Im AGOF-Vermarkterranking belegt ad pepper media Platz 13. Doch ist ad pepper überhaupt noch ein Vermarkter im engeren Sinne oder eher ein Ad Network oder gar ein Technologieanbieter? Wo liegt der Schwerpunkt?
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Wir bezeichnen uns als Performance Network, sind aber immer mehr zu einem Technologieanbieter geworden. Das hat sich in den letzten ein bis zwei Jahren entwickelt. Die Performanceangebote funktionieren nicht ohne eigene Plattform, eigene Programmierarbeit und Tools. *Welche Auswirkungen hat das auf den klassischen Bereich der Displaywerbung bei ad pepper?Wir schalten nach wie vor sehr viele Displaykampagnen, doch geht auch der Displaybereich immer mehr in das Performance-Marketing ein, die Grenzen verschwimmen hier zusehends. Vorne wird zwar auf TKP-Basis abgerechnet, doch hinten wird die Erfolgskontrolle sehr nachhaltig sowohl von uns als auch vom Kunden gegen Transaktionskosten, Warenkörbe etc. durchgerechnet.* Wo geht in der Online-Vermarktung Ihrer Ansicht nach überhaupt die Reise hin, ist eigentlich eine exklusive Vermarktung eines Seitenportfolios noch zeitgemäß? Und wo sehen Sie die größten Veränderungen im Display Advertising?
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Das kann man gut in den USA sehen, die uns eineinhalb bis zwei Jahre in dem Bereich voraus sind. Die Einzelvermarktung sehe ich als beschränkt überlebensfähig an. Diese ist beispielsweise in der Flexibilität, Optimierung und dem Targeting unterlegen im Vergleich zu einer Plattformbuchung, die man in Echtzeit einstellen kann. Wir sehen das auch bei Wettbewerbsunternehmen ohne derartige Technologien, die sehr stark unter Druck stehen. Wer momentan nur noch mit einer vertikalen Einzelseitenvermarktung hausieren geht, hat es schwer, hier Wachstum zu erzielen.Auch große Netzwerke sind unter Druck gekommen und haben Umsatzrückgänge zu verzeichnen. Dort, wo es Zuwachs gibt – und das ist der Trend der nächsten Jahre –, läuft das über Plattformen und Exchanges, also genau das, was wir mit adExplorer machen.
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… Sie meinen also Realtime Advertising und Realtime Bidding?
*Realtime Bidding, also RTB, ist der Zukunftstrend. Durch die ungeheure Prozessorleistung, die Speicherkapazität, die man in der Cloud hat, und durch die nahezu unbegrenzte Verfügbarkeit des Inventars, das man auf den Exchanges buchen kann, kommt eine ganz andere Effizienz auf den Markt. Hierbei ist es auch nicht mehr wichtig, ob man eine große oder eine kleine Seite hat; man kann sich dem nicht mehr entziehen. Der Werbekunde kann sich sozusagen seine Rosinen rauspicken, kann ganz genau sagen, was er kaufen möchte und was nicht. Der Kunde braucht sich auch nicht zu einer Mengenabnahme verpflichten und dann auf eigenes Risiko das performante Inventar rausfiltern, sondern er kann das sehr gut vorab steuern.
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Welche Ansätze gibt es dazu am Markt?*Es gibt verschiedene Ansätze. Der SSP-Bereich (Supply Side Platform) deckt eher die Publisher-Seite ab. Hier werden Webseiteninteressen vertreten, indem man einen möglichst hohen Preis für das Inventar anstrebt. Auf der anderen Seite, der Werbekundenseite, finden sich die DSPs, also Demand Side Platforms. Dort wird versucht die „Werbedollar“ möglichst effizient einzusetzen und einen möglichst hohen Werbeerfolg zu niedrigen Preisen zu erzielen.
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Wo sehen Sie da ad pepper, als SSP oder eine DSP?*Wir würden uns im Grunde genommen eher als Demand Side Platform definieren, weil wir mit unserer RTB-Technologie, mit adExplorer, sehr stark für die Werbekunden tätig sind und uns im Inventarpool der anderen SSPs und Exchanges, also DoubleClick Ad Exchange, Appnexus, Rubicon, Admeld u. a. bedienen und dort das für uns passende Inventar in Echtzeit raussuchen. Hier kann man jedoch nur Wettbewerbsvorteile erzielen, wenn man mit eigenen Funktionalitäten und Services Zusatznutzen im Targeting und der Optimierung bietet. Dies tun wir mit unserer eigenen adExplorer Technologieplattform.
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Kommen wir zu ihren tatsächlichen Lösungen für Werbekunden und zum Targeting. Da Sie ja ein Anbieter für semantisches Targeting sind, sehen Sie dem drohenden Opt-in für Cookies eigentlich auch mit einem lachenden Auge entgegen?*Ich denke, dass Cookies grundsätzlich absolut notwendig sind. Nach der neuen EU-Richtlinie, die kommt, wird das Kind leider mit dem Bade ausgeschüttet und mit großem Dilettantismus vorgegangen. Cookies sind per se nicht schlecht. Sie haben eine wichtige Steuerungs- und Optimierungsfunktion. Überall, wo Cookies nicht gesetzt werden können, kommt es zu Auswüchsen, die auch keiner haben möchte. Zum Beispiel unkontrollierte Werbung, die sowohl die relevante als auch die irrelevante Inhalte betrifft, den User auf die Nerven geht und den Werbeerfolg derart negativ beeinflussen wird, dass sich die Marktteilnehmer nicht mehr ausreichend refinanzieren können. So macht man aber nicht nur das Werbegeschäft, wie es heute funktioniert, nahezu unmöglich. Das Resultat wäre insbesondere, dass der User für den Content, den er jetzt umsonst bekommt, zahlen muss bzw. viel guter Content verschwinden wird. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das im Sinne des Users, des Gesetzgebers, schon gar nicht des freien Internets ist. Hier fällt dann auch der Vorteil des semantischen Targetings, das nicht so auf Cookies angewiesen ist, nicht mehr ins Gewicht, da andere Basisfunktionen nicht mehr verfügbar sind.Wie funktioniert die technische Auslieferung beim semantischen Targeting auf Publisherseite?
Im Grunde genommen ändert sich an den Werbemitteln überhaupt nichts. Unser semantisches Targeting-Tool iSense ist in der Lage, die Webseite in Millisekunden zu erfassen, Wörter und Textbausteine, die auf einer Seite sind, durch unsere semantische Datenbank zu jagen und dann entsprechend die wichtigsten Inhaltskategorien zu definieren und diesen relevante Werbekategorien zuzuordnen. Ist das geschehen, wird in einem Selektionsprozess für diese Inhaltskategorie die passende Einzelkampagne rausgesucht. Können Sie diesen Selektionsprozess näher erläutern?
Wenn es um die Bahamas geht, Sonne, Strand und die Frage, wie ich dahin komme, dann wissen wir, dass es um die Kategorien „Bahamas“, „Tourismus“ und „Urlaubsreisen“ geht – und damit wird die Fluglinie, der Autovermieter, das Hotel und der lokale Unternehmer mit ihren Sonderangeboten genau hier entsprechend platziert. Wenn wir allerdings lesen, dass ein Flugzeug erneut im Hudson River gelandet ist, dann geht es nicht um die New-York-Reise – und die Werbung für das Flugticket bleibt in der Schublade, weil es ein negatives werbliches Umfeld ist.
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Das hört sich einfach an, aber wie kann ein Mediaeinkäufer überhaupt eine Kampagne mit semantischen bzw. Targeting planen – der Einkäufer weiß ja nicht, in welchem Zeitraum er die benötigte Menge an Ad Impressions für die Kampagne erzielen wird?
*Das stimmt. Denn je spezieller ich die Contentkategorie vorgebe, desto schwerer wird es, relevanten Content zu finden. Das war in der Vergangenheit problematisch, wenn wir, um bei dem Beispiel „Flugreise Bahamas“ zu bleiben, nicht genügend Inventar in der Kategorie „Karibik“ hatten im Gegensatz zur allgemeinen Kategorie „Urlaub“. Deshalb blieb dann viel „Urlaubsinventar“ ungenutzt und musste an den Publisher zurückgegeben werden. Mit Realtime Bidding ist das glücklicherweise anders, hier ist der Inventarpool wenn auch nicht unendlich, jedoch immens größer und aufgrund des Kaufs einzelner Impressions entfällt die Inventarrückgabe.Aber auch wenn gewisse Kategorien vom Werbekunden vorgeben werden, fangen wir breit an, um eine große Streuung zu haben. Dann sehen wir genau, welche Kategorien von den 3.500, die wir im System haben, am besten funktionieren, und optimieren die Kampagne dementsprechend. Das kann auch kein Werbekunde genau voraussagen, ob jetzt „Bahamas“, „Urlaubsreise“ oder „Karibik“ funktioniert. Das muss man testen und entsprechend danach anliefern.
Vor ihrer Gründung von ad pepper media waren Sie als kaufmännischer Leiter beim Tessloff Verlag tätig, der die berühmten „Was ist Was“-Kinderbücher herausgibt, mit denen wir alle aufgewachsen sind. Haben Sie noch Berührungspunkte zu dem Verlag?Habe ich. Der Verlag gehört zum Medienhaus Hans Müller, das auch die Gelben Seiten produziert. Hier habe ich meine berufliche Karriere angefangen. Tessloff ist nach wie vor eine hundertprozentige Tochter vom Müller Verlag. Dessen Geschäftsführer Michael Oschmann hat ad pepper mitgegründet. Wir sind zwar an der Börse, doch ist er noch immer unser größter Aktionär.Herr Schmidt, wir danken für dieses Gespräch.*

Bild Sandra Goetz Über den Autor/die Autorin:

Sandra Goetz ist seit 2006 als freie Autorin für ADZINE an Bord. Ihr Fokus liegt auf Interviews zu aktuellen Innovationsthemen im digital Media und Marketing. Außerdem schaut sie sich bei ihren Auslandsreisen immer wieder nach spannenden Geschichten aus der globalen Marketing-Welt um, Interviews inklusive. Seit 2016 verantwortet Sandra die ADZINE Entscheider-Serie.

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