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Sinnfreies Kommunikationsfeuerwerk

Jens von Rauchhaupt, 17. Juni 2010

Der Öl-Konzern BP hat mächtig Schlagseite erlitten. Aufgrund der anhaltenden Ölpest am Golf von Mexiko sank die BP-Aktie bereits um über 40 Prozent. Auch das Image von British Petroleum verliert mit jedem Kubikliter Rohöl, der dem Meeresboden entfleucht, an Wert. Nun wurde bekannt, dass sich die konzerneigene PR-Abteilung online mächtig ins Zeug legt und täglich für mehr als 10.000 Dollar Keyword-Buchungen vornimmt. Wir befragten Frank Roselieb, Direktor des Krisennavigators – Institut für Krisenforschung in Kiel, nach dem Krisen-PR-Management von BP.

Bei Krise Keyword

Als „besten Zug, den BP machen konnte, um sein Image unter den augenblicklichen Bedingungen zu schützen“ und „PR Meisterstück“ bzw. einen „PR Coup“ bewerteten Fachleute aus Großbritannien die jüngsten PR-Maßnahmen von BP. Diese bestanden und bestehen vorrangig darin, einschlägige Suchwörter wie „Oil Spill“, „Oil desaster“ oder „Gulf oil spill“ als Keywords bei Google, Yahoo! und Bing zu buchen, um den Informationssuchenden auf die konzerneigene Response-Webseite zu navigieren. Zudem nutzt BP den Social-Media-Dienst Twitter mit dem Account „BP_America“ sowie Facebook mit „BP America“, um die Öffentlichkeit mit Informationen über die eigenen Gegenmaßnahmen, Pressemitteilungen sowie Telefon-Hotlines für die Betroffenen zu versorgen. Die Facebookseite hat inzwischen über 25.000 „Likes“.

Adzine: Herr Roselieb, ist es nicht etwas grotesk bei den BP-Keyword-Maßnahmen von einem PR-Coup zu sprechen. Keyword-Buchungen sind doch im PR-Krisenmanagement inzwischen eine Selbstverständlichkeit. Außerdem kommt diese PR-Maßnahme doch reichlich spät, oder?

Frank Roselieb, Krisennavigator

Roselieb: Google Adwords ist eine Art „Notlösung der Krisenkommunikation“. Wer es nicht schafft, in den oberen Rängen der Suchmaschine zu landen, muss eben zu diesem Mittel greifen, um in der Krise überhaupt noch wahrgenommen zu werden. Leidvoll erfahren musste dies beispielsweise Grünenthal in Aachen. Als 2007   viele Jahre nach dem eigentlichen Contergan-Skandal in den 50er- bzw. frühen 60er-Jahren   das Thema mit dem Fernsehfilm „Eine einzige Tabelle“ ein zweites Mal in der Öffentlichkeit auftauchte, war Grünenthal auf den ersten Seiten der Suchmachine nicht zu finden   obwohl „Contergan“ als Markenname eigentlich unmittelbar mit Grünenthal verbunden ist. Im Fall von BP war die Situation eine andere. Wer beispielsweise nach „BP“ und „Golf“ sucht, landet unmittelbar beim Konzern. Vielleicht haben die PR-Berater von BP einfach etwas übertrieben   ähnlich wie beim sinnfreien „Kommunikationsfeuerwerk“ auf Twitter, Facebook & Co.**

Adzine: Welche Bedeutung haben eigentlich inzwischen Social-Media-Dienste wie Twitter und Social Networks wie Facebook für das PR-Krisenmanagement. Ist es nicht eher kontraproduktiv, wenn ein Unternehmen sich dort weiteren Angriffsflächen aussetzt?

Roselieb: In der akuten Krisenphase – also bei bereits realisiertem Katastrophen – oder im Krisenfall wie bei BP – erschließt sich die Bedeutung bzw. der Nutzen von „sozialen Medien“ in der Krisenkommunikation nicht. So ist BP ein bekannter Konzern mit gut auffindbarer Website, der problemlos auch auf seiner eigenen Internetseite im Krisenfall kommunizieren kann. Die zusätzlichen Kanäle beispielsweise twitter.com/bp_energie verweisen größtenteils ohnehin nur auf Inhalte auf den Hauptwebsites www.bp.com bzw. www.deepwaterhorizonresponse.com.

Nutzen stiften „soziale Medien“ dagegen in den beiden vorgelagerten Krisenphasen. Hier ist der Krisenfall nur potenziell oder latent vorhanden – also noch schwebend. So macht es durchaus Sinn, die geplante Ansiedlung eines Kohlekraftwerks oder eine CSR-Kampagne der Energiewirtschaft erst einmal in den „sozialen Medien“ bei Facebook diskutieren zu lassen bzw. „anzutesten“, wie die Internetöffentlichkeit auf die Pläne des Unternehmens reagiert. Wer die dort geäußerten Kritikpunkte aus der Community berücksichtigt, kann durchaus eine spätere Krise vermeiden und möglicherweise sogar als Sieger vom Platz gehen.

Adzine: Was kann ein Großkonzern wie BP nach Ihrer Ansicht jetzt überhaupt noch online tun?

Roselieb: Aus Sicht der Krisenforschung war es von Beginn an nicht verständlich, warum BP mit einer solchen Vehemenz im Web kommuniziert hat. Zwar ist es gut und richtig, dass der Konzern zügig zu den Ereignissen   auch im Internet   Stellung genommen hat und im Prozessablauf regelmäßig „Wasserstandsmeldungen“ der Krisenbewältigung veröffentlichte. Nicht nachvollziehbar war aber das enorme Volumen der Online-Krisenkommunikation auf allen Kanälen. Wer beispielsweise per Live-Web-Cam das sprudelnde Öl vom Meeresgrund direkt in die Wohnstuben überträgt, sollte auch sicher sein, das Leck schnell zu schließen. Andernfalls verfestigt sich der Eindruck vom „Reden ist Gold und Handeln egal“.

Auch die Botschaften der Online-Krisenkommunikation von BP waren zuweilen fragwürdig: So sah man auf der Startseite www.bp.com unter „Gulf of Mexico Response“ wochenlang wunderschöne Bilder von Bergungsschiffen, die im Sonnenuntergang aus dem Hafen auslaufen, oder von Mitarbeitern, die in schicken, klinisch reinen Schutzanzügen am Strand spazieren gehen. Der Leser fragt sich unwillkürlich: „Sieht so Öl-Krisenmanagement aus? – Und wo ist eigentlich das Öl?“

BP sollte seine Online-Krisenkommunikation nunmehr einer kritischen Revision unterziehen. Das mediale Feuerwerk auf allen Kanälen muss einem faktenreichen „Krisentagebuch“ mit übersichtlichem Frage-Antwort-Katalog und fundierten Hintergrundinformationen auf www.bp.com weichen. Auch seine Google-Adwords-Strategie mit Schlagworten wie „Ölpest“ sollte der Konzern nochmals bei Licht betrachten. Oder will das Unternehmen allen Ernstes in der Wahrnehmung der Websurfer von „Beyond Petroleum“ bzw. ehemals „British Petroleum“ zum „British Polluter“ werden?

Herr Roselieb, vielen Dank für das Gespräch!

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