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MEDIA

So war Barcelona 2010

Axel Hoehnke, 25. Februar 2010

In der vergangenen Woche fand der Mobile World Congress (MWC) 2010 statt. Die viertägige Konferenz plus Ausstellung lockte wie jedes Jahr alle großen Namen nach Barcelona. Für Netzbetreiber, Software-Hersteller, Hardware-Hersteller und Ausrüster war der MWC schon lange eine Pflichtveranstaltung, doch auch für Vertreter der Medien und Politik gewinnt dieser Kongress immens an Bedeutung. In diesem Beitrag möchte ich Ihnen meine persönlichen Highlights vorstellen.

Mobile First

Google-Chef Eric Schmidt präsentierte in Barcelona die neue Strategie „Mobile First“, die aussagt, dass jede neue Applikation zuerst auf die mobile Plattform programmiert wird. Konsequent stellt Google seine besten Programmierer nun für mobile Entwicklungen an. Schmidt sieht die Geschwindigkeit, mit der Nutzer das mobile Web annehmen, als achtmal so schnell wie im stationären Web und schätzt alleine das Marktsegment der Smartphones in spätestens drei Jahren auf dem Niveau des stationären Webs.


Dr. Eric Schmidt, Google, Foto:GSMA

Die Google-Produkt-Manager zeigten den Kongressbesuchern, wie ein Telefon mit dem Google-Handy-Betriebssystem Android eine deutsche Speisekarte abfotografierte und nahtlos ins Englische übersetzte. Schritt für Schritt zeigt sich, welche Macht Google mittlerweile besitzt und zusätzlich aufbaut. Denn auch die von Schmidt demonstrierte „harmlose Bilderkennung“ lässt sich problemlos fortführen. War es eben noch die spanische Kathedrale, deren Namen, Historie und Öffnungszeit ich binnen Sekunden durch die Google-Produkte erhalte, so ist das Beispiel auch auf Öffnungszeiten und das Angebot von z.B. Sportclubs, Restaurants und Theater übertragbar.

Im eher kritischen Kontext steht die Bilderkennung, sobald sie auf Personen angewendet oder gar mit den persönlichen Angaben kombiniert wird. Laut Eric Schmidt ist es kaum absehbar, wo die Grenzen dieser Datenbereitstellung liegen. Im Anschluss an seine Präsentation stellte sich Eric Schmidt den teilweise kritischen Fragen der Kongressteilnehmer. Deren Feedback war einerseits begeistert von der Darstellung und Realisierung des technisch Machbaren – jedoch auch nicht frei von Angst und Kritik. So fürchten die Netzbetreiber um ihre strategische Bedeutung und die Erlöschancen. Einer der prominentesten Kritiker von Google (aber auch von Apple) ist der Däne Jonathan Strand. Mit erstaunlicher Gelassenheit stellte sich Eric Schmidt den harschen Vorwürfen, Google wolle die Netzbetreiber als „dump pipe“ – also reine (dumme) Leitungsgeber degradieren.

Microsofts letzte Chance?

Um einzuschätzen, wie ernst die Lage für Microsofts mobiles Betriebssystem vor der Messe in Barcelona stand, reicht ein Blick auf die Geschäftszahlen der Redmonder. Der Silicon Alley Insider zeigt den „Collapse Of Microsoft's Mobile Business“. Blackberry und Apple haben große Teile des Microsoft-Kuchens übernommen. Umso erleichterter war man aufseiten von Microsoft in Barcelona endlich das neue Betriebssystem für Smartphones in Barcelona präsentieren zu können. Die Besucher am Microsoft-Stand zeigten sich jedenfalls sichtlich begeistert. Laut Todd Peters, US-Manager bei Microsoft, habe man 18 Monate in die Entwicklung der Windows Mobile 7Series investiert.

FOTO:GSMA

Facebook Zero, nicht nur für den schlanken Mann

Facebook kopiert die Namensgebung von Coca Cola, denn neben „Facebook Lite“ gibt es nun auch „Facebook Zero“. Die Nur-Text-Version des sozialen Netzwerks ist in der letzten Testphase und wird über zero.facebook.com erreichbar sein. Durch Facebook Zero können Netzbetreiber ihren Kunden differenzierte Angebote machen. So kann die abgespeckte einfache Version kostenlos auf Fotos und Videoclips verzichten und eine Premium-Version Foto- und Bewegtbildinhalte kostenpflichtig einbinden.

Auf jeden Fall ist die neue schlanke Facebook-Version für diejenigen interessant, die noch recht teure Volumentarife und langsame Zugänge anstelle einer Daten-Flatrate verwenden, da auf diesem Weg deutlich weniger Datenvolumen übertragen wird als beim Aufruf der herkömmlichen mobilen Facebook-Seite. Für das langsame Surfen im stationären Web zum Beispiel mit analogem Modem – bietet Facebook nun das Produkt Facebook Lite, das sich auf die wichtigsten Funktionen des Netzwerks konzentriert und Fotos und Grafiken verkleinert darstellt.

Consumer Hardware

Das Highlight aus der Consumer-Hardware-Welt war für mich kein Telefon, sei es noch so smart oder bunt, sondern die „Powermat“ mit ihrer kabellosen Aufladung von Akkus. Bereits auf der Consumer Electronic Show war die Powermat ein Renner. Die Experten für die kabellose Aufladung von Akkus kommen historisch eher aus dem Vertrieb von Nahrungsergänzungsmitteln. Sie konnten uns eine überzeugende Roadmap für die nächsten 24 Monate darlegen. Thematisch löst Powermat das Dilemma der wenig leistungsfähigen Akkus – wir denken ans iPhone – und den Wunsch nach einer einfachen „zentralen“ Ladestation im Haushalt. Das goldene Kalb, also die zentrale Lösung bietet Powermat für den stationären und mobilen Einsatz. Homeshopping-Sender finden in dem Produkt dankbares Futter für hungrige Kunden an den Bildschirmen, denn die Benutzung der Powermat ist tatsächlich narrensicher.

Mobile Terminals und zentralisiertes Payment und Logistik

Die Historie zeigt, dass intelligente E-Commerce-Geschäftsmodelle wie webvan.com scheiterten und viele „Direct to the Home“-Konzepte straucheln. Die mobilisierte Gegenwart sieht jedoch anders aus: Konsumenten haben eine stattliche Lernkurve durchschritten. Die juristischen Rahmenbedingungen haben sich entwickelt. So weit so gut! Die wirkliche Veränderung kommt jedoch erst jetzt, da neueste Handys durch intelligente Kameras und Audiosoftware Informationen aufnehmen und durch GPS live in einen geografischen und sachlogischen Kontext stellen. Einige interessante Geschäftsmodell leiten sich daraus ab. Beispiel: „Location Aware Voucher“ sind an Standortdaten geknüpfte Promotionen im stationären Retail- und Eventbereich.

Waze

Auf dem parallel zum Mobile World Congress in Barcelona stattfindenden Mobile Premier Awards stellte das israelische Unternehmen „waze“ eine dezentrale „crowdsourcingbasierte GPS Navigation“ vor. Ofir Leitner, der Gründer von Mobile Monday Tel Aviv hatte waze als israelischen Kandidaten für den Award nominiert, denn was sich kompliziert anhören mag, ist für den Nutzer ganz einfach: Ein Waze-Nutzer lädt ein kostenloses Programm auf sein Smartphone und meldet über diese Applikation potenzielle Hindernisse während seiner Autofahrt.

Die Waze-Bedienung ist dabei derart leicht, dass ein einfacher Knopfdruck für eine Statusmeldung reicht. Die geografische Zuordnung bzw. die intelligente Weiterverarbeitung der einzelnen Meldung übernimmt das Waze-System und bietet damit eine durch 500.000 Nutzer gespeiste live Navigationshilfe im Straßenverkehr inklusive Umleitungsempfehlungen in Echtzeit. Mir und den anderen Premier-Award-Juroren hat die Präsentation des Waze Gründers Noam Bardin sehr gefallen. Noam hat für Waze eine finanzielle Absicherung von 12 Mio. Dollar, was hoffentlich ausreicht, um Waze zeitnah auch im deutschen Raum umzusetzen. Auf jeden Fall lohnt sich ein Blick auf die Demo unter www.waze.com/guided_tour.

Social Media Phones von INQ

Eine Marke, auf die man achten sollte, ist INQ. INQ Mobile ist ein Tochterunternehmen der Hutchinson Whampoa Gruppe. Die Engländer haben schon auf dem World Mobile Congress 2009 die Kategorie „Best Handset“ beim GSM Award gewonnen. Dieses Jahr ist es so weit, dass die bunten Social Media Phones die deutschen Kunden erreichen sollen. Das dazu auserwählte Mobiltelefon ist eine bunte Version des Blackberry-Einsteigermodells in buntem Gewande mit fest programmierten Social Media Links. Zudem ist das Handy perfekt auf die schnelle Integration mit Twitter und Facebook voreingestellt.
 
Das Prinzip reduziert sich auf die wesentlichen Apps für die junge, modebewusste Zielgruppe. Soheb Panja, der Communication Manager von INQ Mobile, zog die Parallel zu der Art, wie Jugendliche ihre Sportschuhe kaufen. Und zugegeben, ein INQ-Handy kostet mit 99 € weniger als ein Paar Premium Nike Air und eignet sich auch perfekt zum Zweithandy. Laut Henry Wicheloe, dem europäischen Resale-Partner, wird wohl ein Handelskonzern die exklusive Vermarktung übernehmen. Wir sind gespannt! Ebenso gespannt bin ich auf das zukünftige Portfolio von INQ Mobile. Ein einzelnes Endgerät wird kaum ausreichen, um eine nachhaltige Distribution aufzubauen bzw. am Leben zu erhalten. Die grausame Realität ist, dass die Hardware-Giganten problemlos einzelne Preispunkte eliminieren können. Das beste Beispiel ist ein Sony Ericsson W205 Slider Handy, das bei der Hamburger MediaMarkt Gruppe inzwischen für 69 € zu haben ist. INQ in Deutschland wird das aber nur bedingt helfen, da die hiesige Klientel eher auf StudiVZ ist. Auch die Verarbeitung ist billig, was sich uns zeigte, als Panja sein Mobiltelefon fallen ließ.

Und die Deutschen?

Auf dem Mobile World Congress in Barcelona stellten die Fraunhofer-Experten ihre Lösung zum Durchbruch fürs mobile Fernsehen vor. Mit dem neuen Mobilfunkstandard „Long Term Evolution“ (kurz LTE) soll sich das mobile Internet verändern. Schnelle Übertragungsraten, auch großer Datenmengen, werden auf mobilen Geräten möglich. Fraunhofer-Forscher vom Heinrich-Hertz Institut HHI in Berlin haben ein Kodierverfahren entwickelt, das HD-Filme je nach Empfangsqualität für das passende Format für Handy oder Netbook anbietet – in Echtzeit. LTE wird leistungsfähiger als UMTS sein und Download-Geschwindigkeiten erreichen, die dem des Festnetz-DSL beinahe ebenbürtig sind. Mit LTE soll der Durchbruch für das mobile Internet gelingen. Denn nicht nur E-Mail und Internet, auch Videos und mobiles Fernsehen sollen ohne störende Unterbrechungen übertragen werden. Die briefmarkengroßen Ruckelfilmchen werden damit Geschichte.

In eigener Sache

Falls Sie sich für den Themenblock Mobile Gaming – Social Gaming interessieren, könnte der nächste Mobile Monday in Hamburg am 22.03.2010 genau das Richtige sein: Anmeldungen sind ab nächster Woche über www.mobile-monday.de möglich.

Über den Autor/die Autorin:

Axel Hoehnke ist Geschäftsführer der Firma sembassy, die mobiles Expertenwissen in Form von Marktanalysen und Coachingprogrammen anbietet. Das Unternehmen greift dabei auf die weltweiten Ressourcen des MobileMonday-Netzwerks zu, dessen Hamburger Chapter 2008 von Axel Hoehnke gegründet wurde. MobileMonday organisiert aktuell Events in mehr als 65 Ländern und stellt die einzige Mobile-Xpert-Gruppe der Plattform Xing dar. Hoehnkes beruflicher Werdegang führte ihn über Stationen beim Süßwarenriesen Mars, dem deutschen Pay-TV-Unternehmen Premiere und Microsoft Advertising. Er leitete die Electronic- & Mobile-Business-Aktivitäten der finnischen Elisa Group in Deutschland, den europäischen Markteintritt mehrerer US-Datenanbieter und die strategische Ausrichtung einer weltweit aktiven Handelsplattform für mobile Internetwerbung.

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