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ONLINE VERMARKTUNG - Aus der Praxis für die Praxis (3)

Mit Web-Push und authentischem Content aus der SEO- und ChatGPT-Falle

Ulf Heyden, 8. Dezember 2025

Aus der Praxis für die Praxis (3)

Bild: Paul Königer Bild: Paul Königer

Die KI-Suche bedroht immer mehr das offene Web, ChatGPT und Co. beantworten Fragen, ohne dass noch ein Klick auf der Verlagsseite entsteht. Klassische Regeln gelten nicht mehr, alte publizistische Marken sind in Gefahr, wenn sie sich wandeln. In dieser neuen Publishing-Welt ist die eigentliche Währung nicht mehr der nächste Traffic-Peak, sondern die Autarkie: die Fähigkeit, Reichweite und Erlöse nicht länger primär von Google, Discover oder irgendwelchen Assistenten abhängig zu machen. Genau hier werden Web-Push und radikal authentischer Content zu zwei Seiten derselben Medaille.

Web-Push: Der unterschätzte Hebel für Reichweiten-Autarkie

Web-Push ist neben den traditionellen Direktkanälen zum User wie, Newsletter, Whatsapp oder auch den Social-Channels zunächst ein unspektakuläres Format: kurze, klickbare Nachrichten direkt in den Browser oder auf das Gerät, auch wenn die Seite gerade nicht offen ist. Aber strategisch ist es ein mächtiges Instrument, dessen Möglichkeiten viele Publisher bisher nicht richtig einsetzen. Ein Nutzer erlaubt mit einem Klick die Benachrichtigungen – und ab diesem Moment besitzt der Publisher einen direkten, algorithmusfreien Kanal. Es braucht keine E-Mail-Adresse, keinen Login, keinen Social-Feed dazwischen.

Auf der Tactixx-Konferenz im Oktober habe ich genau darüber gesprochen: Web-Push ist für Publisher oft der schnellste Weg, eine eigene Grundreichweite aufzubauen – eine Liste von Menschen, die erreichbar bleibt, auch wenn SEO schwankt oder eine KI-Antwort den Klick schluckt. Mit Zustellraten nahe 100 Prozent und Klickraten im hohen einstelligen bis niedrigen zweistelligen Prozentbereich, je nach Segment und Timing, ist der Kanal alles andere als ein Gimmick, sondern ein Owned-Media-Instrument.

Interessant ist der Blick in die Praxis. Große Newspublisher mit hohem Anteil an generischem Suchtraffic und starken Wiederkehrraten – häufig in Vermarktungsgemeinschaften wie IQ Digital gebündelt – verzichten komplett auf Web-Push. Die dahinterliegende Annahme: Unsere Nutzer sind so überzeugt von Marke und Produkt, dass sie „von alleine“ wiederkommen. In einer Welt fragmentierter Aufmerksamkeit ist das ein riskanter Irrtum. Es gibt aber eine wachsende Gruppe mittelgroßer, „cleverer“ Publisher, die Web-Push bereits einsetzen – meist aus dem richtigen Impuls heraus: zusätzliche Distribution, mehr Direktzugriffe, weniger Abhängigkeit. Nur schöpfen viele von ihnen das Potenzial des Kanals nicht aus. Mehr noch: Sie lassen zusätzliche Monetarisierungsmöglichkeiten liegen.

Die häufigsten Web-Push-Fehler der „Cleveren“

Das fängt beim Opt-in an. Wer dem Nutzer auf der Startseite im ersten Sekundenbruchteil ein schmuckloses Browser-Popup vor den Kopf setzt, erntet reflexartig „Blockieren“ – und verliert den Kanal auf diesem Gerät praktisch dauerhaft. Der Dialog erscheint zu früh, zu generisch oder am falschen Ort und nicht mit einem hinterlegten Layer, der erklärt, was den Nutzer erwartet („wichtige Breaking News“, „nur relevante Angebote“, „Updates zu deinen Themen“). Kombiniert mit einem dezent platzierten Glocken-Icon oder Widget als zweitem Einstiegspunkt entstehen Opt-in-Flows, die durchaus Akzeptanzraten von acht bis zwölf Prozent der Besucher erreichen – ohne Überrumpelung und ohne Frust.

Hinzu kommt bei einigen Webpush-Publishern eine übertriebene Liebe zu Sub-Channels – statt klarer Themenkanäle entstehen wilde Rubrikenbäume, in denen Nutzer sich verlieren. Sinnvoll sind Sub-Channels in der Regel nur für drei bis vier große Themencluster oder – bei Regio-Portalen – für die gezielte Wahl der Region.

Die zweite Fehlerzone: Frequenz und Relevanz. Viele Häuser verschicken entweder zu wenig – ein sporadischer Breaking-News-Ping alle paar Wochen – oder zu viel. Ein Mix aus interner Promo, generischen Alerts und lieblosen Commerce-Pushs. Der Kanal versandet, bevor er überhaupt Wert aufgebaut hat. Spätestens seit Googles neuem „Safety Check“ in Chrome ist das kein Komfortthema, sondern Hygiene: Der Browser entzieht still jenen Sites die Berechtigung, deren Pushs dauerhaft keine Reaktion auslösen – also unter 1 Prozent Klickrate liegen. Was für manche wie das Ende von Web-Push wirkt, ist in Wahrheit ein Filter gegen Irrelevanz – ein Weckruf, nur noch Nachrichten zu senden, die entweder journalistisch wichtig oder kommerziell wirklich hilfreich sind. Wer Web-Push ernst nimmt, denkt ihn daher wie ein eigenes Produkt: klar definierte Kategorien, sauber segmentierte Zielgruppen, sinnvolle Zeitpunkte für neue News – auch, um die richtigen Signale an Discover und andere Empfehlungssysteme zu senden.

Die eigentliche Königsdisziplin beginnt dort, wo Web-Push mit den vorhandenen Signalen der Data Management Plattform (DMP) verbunden wird: Wer etwa Nutzer kennt, die sich wiederholt intensiv mit Ratgeberstrecken zur Wärmepumpe beschäftigen, kann ihnen völlig andere Signale senden als dem Rest: Hinweise auf neue Förderbedingungen, regionale Service-Partner, Preis- und Verfügbarkeitsalarme oder passende Commerce-Deals. Nutzer mit starkem Interesse an Kapitalmarkt-Themen bekommen andere Hinweise als Fußball-Fans oder regionale News-Junkies. So wird aus einem generischen Push-System ein hochpräziser, wertschöpfender Kanal, der journalistische Relevanz und kommerzielle Nutzwertangebote miteinander verbindet – genau der Mix, den Chrome mit dem „Safety Check“ künftig implizit belohnt.

Jetzt aber der wenigsten genutzte Hebel: die direkte Monetarisierung. Viele Publisher trauen sich nicht, Werbung im Push-Kanal mitzudenken – aus Sorge, zu „aggressiv“ zu wirken. Sie lassen damit aber Geld und Steuerung liegen. Richtig aufgesetzt, können gesponserte Alerts, Native Ads oder Commerce-Signale die User Experience sogar verbessern: ein Preisalarm, der wirklich hilft, ein kuratierter Deal zum gerade gelesenen Thema, ein exklusives Abo-Angebot für die Kohorte, die ohnehin regelmäßig zurückkehrt. Kommerziell spannend wird es dort, wo spezialisierte Push-Netzwerke programmatische Native Ads direkt in den Web-Push-Kanal bringen und auf Revenue-Share-Basis arbeiten, statt Lizenz- und Set-up-Gebühren aufzurufen. Zwischen den Angeboten liegen teils deutliche Unterschiede bei Füllraten, TKPs, Verticals und Datenschutz-Setup – eine saubere Marktkenntnis hilft, den eigenen Weg zu einem Push-Setup zu finden, das nicht nur Reichweite sichert, sondern spürbar zur Ergebnisrechnung beiträgt. Wer all das ignoriert, reduziert Web-Push auf „kostenlosen Newsletter-Ersatz“ und verschenkt den eigentlichen Hebel.

Distribution wird steuerbar, wenn der erste Kontakt dir gehört

Wenn eine Redaktion Web-Push, Newsletter, WhatsApp- oder Telegram-Kanäle und vielleicht noch Browser-Alerts konsequent zu einer eigenen Reichweite bündelt, verschiebt sich die Machtbalance. Die Discover-Kurve ist dann nicht mehr Existenzfrage, sondern Bonus. Ein neuer Artikel startet nicht im Niemandsland, sondern mit einem definierten Grundstock an Menschen, die aktiv benachrichtigt werden – unabhängig davon, ob Google ihn „entdeckt“ oder ein Assistent ihn zitiert. Die gewünschte Nebenwirkung: Gerade diese schnellen, wiederkehrenden Leserströme senden starke Verhaltenssignale zurück – hohe CTR, lange Verweildauer, Wiederkehr. Das sind genau die Parameter, die Google und andere Systeme wiederum als Qualitätsindikatoren lesen. Autarkie im Push-Kanal und Sichtbarkeit in KI-Oberflächen schließen sich nicht aus, sie verstärken sich gegenseitig – wenn der Content trägt.

Authentizität als Verteidigungslinie gegen die “KI-Glättung”

Damit sind wir beim zweiten Hebel: Publisher müssen Inhalte erstellen, die sich nicht von den KI-Antwortmachschinen glattbügeln lassen. In meiner vorherigen Kolumne habe ich es so formuliert: Eine Website darf kein Sammelordner für Loseblattsätze mehr sein, sondern muss zu einer präzise gestalteten Erfahrungsumgebung werden. Wichtig hier: Die interne Suche wird vom Notnagel zur Discovery-Engine, die versteht, was der Nutzer meint, nicht nur, was er tippt. Sie führt durch Themen, zeigt Querverbindungen und vermittelt das Gefühl, gehalten statt verloren zu sein.

Dasselbe gilt für die Werkzeuge auf der Seite. Tools, Rechner, Konfiguratoren und Vergleichslogiken gehören genau dorthin, wo der Impuls des Nutzers entsteht. Wer eine Budgetvorstellung für ein E-Bike hat, braucht einen Konfigurator, nicht drei Absätze. Wer zwei Stromtarife, Depots oder Smartphones vergleichen möchte, braucht die Vergleichstabelle exakt an der Stelle seiner Frage, nicht erst den Verweis auf ein Tool am Seitenende. Jede zusätzliche Hürde macht die Antwort der KI attraktiver – und damit ökonomisch teurer für den Publisher. Authentizität heißt hier nicht nur „echter Ton“, sondern: Die Seite erfüllt den Job des Nutzers besser und schneller als jede generische Antwortbox.

Gleichzeitig müssen die Inhalte selbst eine Qualität haben, die in der maschinellen Verdichtung nicht verschwindet, sondern als Ursprung erkennbar bleibt. In meiner letzten Kolumne war das E-Bike das Beispiel: Wer Modelle nur aufzählt, geht im generischen KI-Text unter; wer misst, vergleicht und Kriterien offenlegt, hinterlässt Spuren. Für klassische Newspublisher heißt das: Eine Analyse zur Haushaltsdebatte, die im Kern nur Agenturmeldungen paraphrasiert, wird von KI-Systemen kaum anders behandelt als die x-te Zusammenfassung. Ein Stück, das Originaldokumente verlinkt, Abstimmungslisten zeigt, Zitate im Wortlaut einordnet und Interessenlagen der Akteure transparent macht, erzeugt dagegen Substanz – für Leser wie für Maschinen.

Daraus folgt eine unbequeme Wahrheit: Im Idealfall ist jeder Beitrag ein Autorenartikel, auch wenn er auf Agenturmaterial basiert. Selbst kurze Nachrichten, die man aus Chronistenpflicht noch anbietet, sollten zumindest eine klar verantwortliche Autorenschaft tragen und ein Minimum an eigener Einordnung oder Kontext liefern. Bei größeren Storys lohnt es sich, konsequent Methodenkästen, Quellen-Boxen, Datenvisualisierungen und Primärdokumente zu ergänzen. So entsteht Inhalt, den Nutzer wiedererkennen, wenn sie später eine KI-Antwort lesen – und den Modelle als originäre, zitierfähige Quelle identifizieren können.

Autorenschaft, Evidenz und maschinelle Lesbarkeit

Im Alltag bedeutet das: Jeder relevante Artikel trägt sichtbar eine echte Autorenschaft, idealerweise mit Kurzprofil und Kontakt. Zitate sind nicht Dekoration, sondern belegt. Tabellen und Testergebnisse sind nicht „in etwa so“, sondern mit Datum, Stichprobe und Messmethode beschrieben. Quellen und Studien werden verlinkt, nicht angedeutet – eine Rückkehr zu den guten alten Tugenden des Web 1.0. Für Newspublisher heißt das konkret: Auch ein Stück zum spektakulären Verkehrsunfall oder zum kommunalen Haushaltsstreit braucht diese Offenheit bei Zahlen, Dokumenten, Quellen und Einordnung, sonst wird es zum austauschbaren Rohstoff für generische Zusammenfassungen. Die naheliegende Frage „Wer soll das bezahlen?“ hat eine nüchterne Antwort: Investiert wird vor allem in die Themen, die strategisch tragen – lieber weniger Stücke, die tief und sauber gemacht sind, als viele dünne. Genau diese Leuchtturmartikel zahlen sich aus: Sie erzeugen längere Sitzungen, mehr Direktzugriffe, höhere Abo- und Werbeerlöse und sind zugleich die Inhalte, die KI-Modelle am ehesten zitieren und künftige Lizenz- oder Pay-per-Crawl-Einnahmen ermöglichen.

Gleichzeitig reicht „lesbar“ allein nicht mehr, Inhalte müssen auch maschinell auswertbar sein. HTML ist im Kern eine Auszeichnungssprache für Menschen, nicht für Modelle, wie Mario Fischer in seinem lesenswerten Artikel in Search Engine Land beschreiben hat. Redaktionen sollten deshalb dort nachschärfen, wo es wenig Glamour, aber viel Wirkung gibt: saubere Nutzung von Schema.org-Typen wie News Article, eindeutige Entitäten für Personen, Orte und Institutionen, klar gekennzeichnete Zeitangaben, konsequente Themen-Tags und Dossiers, im Idealfall ergänzt um strukturierte Feeds oder einfache Schnittstellen für wiederkehrende Daten (z. B. Ergebnisse, Wahlkreise, Kennzahlen).

Solche Stücke tragen eine Handschrift, die sich nicht unbemerkt kopieren lässt: Für Nutzer entsteht Vertrauen, für Maschinen entsteht Klarheit. Je mehr Evidenz und Struktur in einem Artikel stecken, desto eher wird ein Assistent ihn heranziehen und ein Crawler ihn häufiger nutzen – und desto eher kommt ein Nutzer im zweiten Schritt auf die Website zurück, um genau diese Tiefe zu bekommen. Die beste Antwort im KI-Zeitalter ist nicht die längste, sondern die überprüfbarste.

Autarkie und Authentizität gehören zusammen

Am Ende läuft vieles auf zwei Punkte hinaus: Autarkie in der Distribution und Authentizität im Content. Das eine funktioniert ohne das andere nur halb. Eigene Kanäle wie Web-Push, Newsletter oder Messenger bringen wenig, wenn am Ende doch austauschbare Texte verschickt werden. Und umgekehrt bleibt selbst der beste, sauber belegte Journalismus abhängig von fremden Feeds, solange er keinen direkten Weg zum Publikum hat.

Web-Push ist dabei die pragmatische Übersetzung von Autarkie in den Alltag: ein Kanal, über den ein Haus seine Leserinnen und Leser selbst erreichen kann – unabhängig davon, wie sich SEO, Discover oder die nächste Assistenten-Oberfläche gerade verhalten. Authentischer Content ist das passende Gegenstück dazu: Artikel mit klarer Autorenschaft, offenen Kriterien, verlinkten Quellen und einer Struktur, mit der sowohl Menschen als auch Maschinen etwas anfangen können.

Publisher, die beides zusammendenken, werden die Entwicklung rund um KI nicht aufhalten. Sie verschieben aber die Abhängigkeiten ein Stück in ihre eigene Richtung: weg von der reinen Hoffnung auf Reichweiten-Zufälle, hin zu einer Beziehung, die sie selbst gestalten. Genau dort beginnt im KI-Zeitalter so etwas wie echte digitale Autarkie – eine sehr moderne Disziplin: die Kunst, unabhängige Reichweite und überprüfbare Evidenz so zu verbinden, dass weder SEO noch Chat GPT über das Geschick eines Hauses allein entscheiden.

Bild Ulf Heyden Über den Autor/die Autorin:

Ulf Heyden, Gründer und Geschäftsführer von Heyden.Net Internetservices, arbeitet als Digital Consultant und Sparringspartner für Publisher und digitale Geschäftsmodelle. Nach 25 Jahren in Medien, Produkt und Commerce in verschiedenen Verlagen (u.a. lange Zeit bei Burda) unterstützt er Unternehmen dabei, ihr digitales Potenzial in profitables Wachstum zu übersetzen.

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