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EditorialNie wieder Routine

Arne Schulze-Geißler, 24. Juni 2013

Viele haben letzte Woche über Merkels Bemerkung: „Das Internet ist für uns alle Neuland", gegenüber dem amerikanischen Präsidenten den Kopf geschüttelt. Der Ausspruch war sicher wenig geeignet, die Aktivitäten des amerikanischen Nachrichtendienstes oder die Legitimierung durch die US-Regierung herunterzuspielen oder zu rechtfertigen. Gehören doch offenbar gerade die Geheimdienste zu den erfahrensten Nutzern der Netzstruktur und zu den wenigen Organisationen, für die die digitale Information schon lange kein Neuland mehr ist.

In den meisten Online-Publikationen, die Merkels Neuland Zitat aufgriffen, gab es reichlich spöttische Kommentare von jenen „Fachleuten“, die gerade mal ihr Tablet anknipsen, ihre Tageszeitung online lesen, E-Mails schreiben und Familienfotos bei Facebook platzieren können. Wenn wir uns aber die Realität anschauen, treffen Merkels Worte doch auf fast alle Bereiche des öffentlichen wie auch den privatwirtschaftlichen Sektor zu. Was wissen denn die meisten von uns, ob privater Nutzer, Politiker oder Manager? Wir diskutieren über Netzsicherheit, Datenschutz und Cookies, ohne die Eigenschaften, Entstehung und Dimension digitaler Informationen und deren Mobilität nur ansatzweise verstanden zu haben. Der digitale Fortschritt wird von einer absoluten Minderheit organisiert, der Rest, und dazu zählen Privatnutzer wie auch die meisten Unternehmen und öffentliche Institutionen, sind reine Anwender mit wenig Einblick und Hintergrundwissen.

Ab einer bestimmten Hierarchieebene ist es gelernte Routine, bei technisch kniffeligen Sachverhalten an Spezialisten zu delegieren und sich der Detailverantwortung zu entledigen. Digitale Technologie besteht aber nun mal im Wesentlichen aus Details und egal, wo wir heute Neuland betreten, es öffnen sich sofort wieder drei weitere Ebenen. Entscheidungsträger brauchen heute viel mehr differenziertes Wissen technologischer Natur, um urteilsfähig zu bleiben und für die Zukunft Chancen für ein Unternehmen zu erkennen. Es gibt keine Offline-Unternehmen mehr. Im Falle der Politiker, um Frau Merkel nicht ganz aus den Augen zu verlieren, geht es natürlich um die Fähigkeit, Interessen abzuwägen und Rahmenbedingungen zu schaffen, die der Öffentlichkeit wie auch der Wirtschaft gerecht werden. Ich denke, wir alle müssen uns sehr viel mehr mit technischen Details auseinandersetzen, wenn wir die Zukunft verantwortungsvoll mitgestalten wollen.

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Arne Schulze-Geißler, Herausgeber ADZINE