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PROGRAMMATIC
DSPs rüsten sich für Ads.txt

Frederik Timm
Bild: Drew Graham; CC0 - unsplash.com

Nachdem Publisher mittlerweile seit mehreren Monaten dabei sind, auf ihren Seiten das Ads.txt-Skript zu implementieren, kommt nun auch die Einkaufsseite in Bewegung. Zunehmend mehr Demand Side Plattformen (DSPs) aktivieren Filter, die nur noch Inventar über die per Skript zugelassenen Quellen einkaufen, sofern Ads.txt implementiert ist. Wie wichtig ist die schnelle Adaption auf Einkaufsseite?

Dass Ads.txt langfristig in allen Premium-Webseiten und wohl auch einem Großteil der Seiten aus dem Mid und Long Tail verbaut sein wird, dürfte mittlerweile außer Frage stehen. Immerhin verhindert die Integration des Skriptes das sogenannte Domain Spoofing. Mittels Ads.txt können Käufer im programmatischen Mediaeinkauf nun nachvollziehen, ob der Verkäufer von Inventar auch wirklich dazu befugt ist.

Vermehrt zeigt nun auch die Einkaufsseite Interesse an der Initiative, schließlich lassen sich durch das Skript und einen entsprechenden Filter in der Demand Side Plattform Werbeausgaben an betrügerische Verkäufer verhindern.

Mittlerweile haben einige programmatische Einkaufsplattformen, darunter unter anderem Google und The Trade Desk, bereits entsprechende Filter aktiviert. Bei anderen ist es spätestens im Q1 2018 so weit. Der Filter ermöglicht es, Inventar allein von Sellern einzukaufen, die im Ads.txt-Verzeichnis einer Webseite stehen und damit vom Publisher autorisiert sind. AppNexus plant diesen Filter sogar verbindlich zu machen. Auf Seiten, die kein Ads.txt verwenden, ist der Einkauf dagegen wie gewohnt möglich.

Wie aus Kreisen von Amazon berichtet wird, plant das Unternehmen für seine Advertising Plattform (AAP) ebenfalls einen obligatorischen Filter, der ab 2018 alle Bid Requests von nicht autorisierten Verkäufern unterbinden soll, sobald der Publisher Ads.txt verwendet. Im Laufe des ersten Quartals soll es Werbetreibenden zudem möglich gemacht werden, den Inventarkauf von Webseiten, die kein Ads.txt verwenden, komplett zu meiden.

Liegt die Ursache in den USA?

Joachim Schneidmadl, Bild: Virtual Minds Presse

Die Nachricht um eine Implementierung eines Ads.txt-Filters kommt auffällig häufig von US-amerikanischen DSP-Anbietern. In Deutschland halten sich die hiesigen Anbieter noch in Zurückhaltung. Auf Anfrage berichtet Joachim Schneidmadl, Vorstandsmitglied von der Marketing-Suite Virtual Minds, dass auch für die hauseigene DSP Active Agent ein solcher Filter in Planung ist. Ein genauer Zeitpunkt zur Veröffentlichung stehe noch nicht fest. Es sei jedoch erst sinnvoll, sobald eine vernünftige Reichweite im Premiumsegment vorhanden ist. Schneidmadl sieht es mit der Implementierung gelassen.

„Im Programmatic Advertising handeln Agenturen hierzulande meistens ohnehin Direktdeals mit großen Publishern aus und bleiben beim Long Tail eher vorsichtig. Einen großen offenen Marktplatz, bei dem auf Datenbasis bei quasi Unbekannten eingekauft wird, haben wir im deutschen Markt, zumindest bei den wirklich großen Budgets, ohnehin nicht. Das sind Probleme, die eher in einer US-amerikanischen Marktstruktur aufkommen. Die US-Player forcieren nun den Filter auf SSP- und DSP-Seite, um auf ein US-Problem zu reagieren, dass durch den offenen Marktplatz zustande gekommen ist, rollen es aber weltweit aus“, erklärt sich Joachim Schneidmadl den Druck der US-Wettbewerber. Von Seiten der Werbetreibenden würde es hierzulande bisher jedenfalls keine lautstarken Forderungen zur Veröffentlichung eines solchen Filters geben.

Sacha Berlik, Bild: The Trade Desk Presse

Anders hat es Sacha Berlik, Managing Director EMEA beim US-DSP-Anbieter The Trade Desk, erlebt. In Gesprächen mit europäischen Agenturchefs und großen Werbetreibenden sei Ads.txt schon seit Monaten ein wichtiges Thema. Besonders die Führungsebene verlange nach Informationen und Lösungen. „Es wird von unseren Agenturpartnern und Advertisern absolut erwartet, dass wir alle technischen Möglichkeiten, die dafür sorgen, den Marktplatz transparenter und sicherer zu machen, so schnell wie möglich umsetzen“, berichtet Berlik.

Umstellung braucht Zeit

Stefan Beckmann, Bild: SpotX Presse

Bisher ist die Marktdurchdringung von Ads.txt in Deutschland vergleichsweise gering. Hierzulande rufen Adtech-Anbieter immer wieder zur Implementierung des Skriptes unter Publishern auf. Beim SSP-Anbieter SpotX ist der Druck durch die Ankündigungen von AppNexus, The Trade Desk und Co. deutlich zu spüren. Stefan Beckmann, Managing Director DACH von SpotX, sieht die Deadlines der DSPs als klares Warnsignal für hiesige Publisher, die Lösung möglichst bald umzusetzen. „Wir crawlen regelmäßig über die Seiten unserer Publisher-Kunden. Wenn wir erkennen, dass der Publisher noch nicht Ads.txt einsetzt, weisen wir ihn darauf hin. Immer mehr DSPs veröffentlichen klare Deadlines, ab wann sie nur noch Inventar direkt vom Publisher oder von autorisierten Resellern abnehmen. Wir erwarten, dass dies flächendeckend im ersten Quartal 2018 der Fall sein wird. Ein Publisher, der bis dahin Ads.txt nicht implementiert hat, wird es sehr schwer haben, sein Inventar programmatisch zu verkaufen. Natürlich kann er dann noch jederzeit nachbessern, wir empfehlen aber eine zügige Umsetzung“, mahnt Beckmann. Auch der Bewegtbildvermarkter hat erst vor wenigen Tagen seine Publisher-Partner zur Ads.txt-Kenzeichnung aufgerufen.

Bei Virtual-Minds-SSP Yieldlab kümmert man sich ebenfalls um die Umsetzung der Initiative auf Publisher-Seite. Joachim Schneidmadl sieht jedoch gleich zwei Gründe, warum sich die Implementierung derzeit etwas in die Länge zieht: „Einerseits ist das vierte Quartal kein guter Zeitpunkt, neue Dinge einzuführen und umzustellen, und andererseits herrschen in großen Vermarktungshäusern häufig sehr komplexe Strukturen, in denen die Umsetzung einer solchen Maßnahme einfach Zeit benötigt.“

Auch aus diesem Grund nimmt The Trade Desk nur Publisher auf, die Ads.txt bereits 30 Tage implementiert haben. Der Grund: Bei der Integration des Skripts können leicht Fehler auftreten. Man wolle so verhindern, dass Publisher dadurch Umsatzverluste erleiden.

Schneidmadl berichtet, dass alle an Yieldlab angeschlossenen Publisher mit der Umsetzung beschäftigt sind. Durch den noch andauernden Umstellungsprozess kann ein DSP-seitiger Ads.txt-Filter deswegen noch zu einem gewissen Reichweitenverlust führen. Schneidmadl rechnet jedoch mittel- bis langfristig damit, dass ein solcher Filter keinen großen Einfluss auf die Reichweiten im Programmatic Advertising haben wird. Zumindest auf das Agenturgeschäft, Großwerbetreibende und die Top-20-AGOF-Publisher sollte der Filter keinen großen Effekt haben.

Grenzen von Ads.txt

So sinnvoll und wichtig die Verbreitung der Integration von Ads.txt für Publisher und Werbetreibende ist, es gibt Bereiche, die Ads.txt noch nicht abdeckt. So ist die Integration des Skripts in In-App-Inventar derzeit noch nicht möglich. Nach Aussage von Dennis Buchheim, Senior Vice President und General Manager des IAB Tech Labs, würde bereits an der Integration zusammen mit den App Stores von Google und Apple gearbeitet. Ebenso gäbe das Skript bisher auch noch keine Auskunft über die Geo-Location des Inventars. Auch hieran arbeite das IAB Tech Lab derzeit.

Joachim Schneidmadl macht zudem auf ein Problem aufmerksam, das besonders auf dem deutschen Markt besteht. Es sei bisher noch nicht geklärt, wie mit semi-transparenten URLs umgegangen wird: „Gerade die deutschen Vermarkter bieten im programmatischen Umfeld häufig gar keine volle Transparenz auf die URL an, sondern haben eine extra URL als programmatische Absender-URL. Viele verwenden diese Möglichkeit, um dort Inventar von nicht nur einer, sondern mehreren Seiten zu verkaufen, um 'cherry picking' zu vermeiden“, erzählt Schneidmadl. Bei semi-transparenten URLs handelt es sich um Sammeladressen für mehrere unterschiedliche Seiten-URLs eines Publishers. So könnte beispielsweise Axel Springer sein Inventar von bild.de, welt.de und anderen Seiten auch unter springer.media.de gesammelt verkaufen.

Sacha Berlik sieht Ads.txt, trotz der noch bestehenden Baustellen, als einen wichtigen ersten Schritt zu mehr Transparenz. Besonders in den Bereichen Native und Video sehe man schon deutlich die positive Auswirkung eines DSP-seitigen Filters: „Natürlich gibt es bei Ads.txt noch viele Kinderkrankheiten. Ads.txt ist kein Allheilmittel für Domain Spoofing und die Transparenz in der Wertschöpfungskette. Es ist aber der erste richtige Schritt. Gerade im In-App-Bereich fehlt die Integration noch komplett. In anderen Bereichen sehen wir jedoch bereits Erfolge. Gerade im Native und Video Advertising ist das Skript extrem wirksam ist. Sobald der Filter aktiv ist, wird deutlich spürbar falsch klassifiziertes Inventar geblockt.“

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Bild: Vidady, Adobe Stock

Programmatic Advertising wächst, wächst und wächst. Die Wachstumsrate liegt in Deutschland bei fast 40 Prozent. Der BVDW prognostiziert, dass Programmatic damit in diesem Jahr einen Anteil von 45 Prozent an den Nettowerbeumsätzen der OVK-Werbestatistik ausmachen wird. Die automatisierte Werbeaussteuerung in Echtzeit wird vor allem durch den Einsatz von Daten und Technologien ermöglicht, die immer besser ineinandergreifen. Doch diese starke Technologiekomponente verursacht Gebühren in einem nicht unerheblichen Rahmen. Die gute Nachricht für alle Advertiser: Diese Kosten werden sinken.

Boomende Märkte wecken Begehrlichkeiten. So war es in den vergangenen Jahren auch im Online Display Advertising. Immer mehr Anbieter von Werbetechnologie drängten in den Markt, jeder wollte seine Marge machen. Für Advertiser wurde es schnell unübersichtlich und Publisher wunderten sich, dass so wenig vom Werbebudget bei ihnen ankam.

Mittlerweile ist die Branche um Transparenz bemüht, wie nicht nur der Code of Conduct Programmatic Advertising des BVDW zeigt. In der Regel können sich Werbetreibende heutzutage im Vorfeld einer programmatischen Buchung auf Wunsch die Technologiekosten von ihrer Agentur transparent aufschlüsseln lassen. Auf Wunsch können Werbetreibende nun mit spitzen Bleistift selbst nachrechnen und einzelne Technologiekomponenten auf den Prüfstand stellen.

Die zweite Möglichkeit ist: Man schaut nicht zu streng auf die Kosten, sondern vorrangig auf die Resultate. Wurde mit dem vorhandenen Budget das Kampagnenziel erreicht oder übertroffen, so ist anzunehmen, dass die Technologiekosten in ihrer Höhe berechtigt waren. Ebenso, wenn mit Programmatic aus dem Budget mehr herausgeholt wurde als bei einer klassischen Online-Buchung. Ein solcher entspannter Umgang mit technologischen Kostenblöcken schont im digitalen Zeitalter die Nerven und ist vor allem US-Advertisern zu empfehlen. Denn wer in Nordamerika programmatische Kampagnen fährt, investiert durchschnittlich fast die Hälfte seines Mediabudgets in Technologiegebühren.

Teures Amerika: Die Hälfte des Mediabudgets entfällt auf Technologie

So hat eine gemeinsame Studie der Association of National Advertisers (ANA), der Association of Canadian Advertisers (ACA), Ebiquity und AD/FIN ergeben, dass die Tech-Fee für Programmatic Advertising (ohne Adserving) in Nordamerika bei durchschnittlich 42 Prozent liegt. Das heißt, von 1 Dollar Mediabudget fließen 42 US-Cent an die Technologieprovider. Die Studie analysierte dafür über einen Zeitraum von zwei Jahren rund 16,4 Milliarden Media-Impressionen von fünf DSPs in den Segmenten Auto, Banking, Beauty, Konsumgüter, Fashion und Travel. In der Umfrage wurden die Kosten für die Demand Side abgefragt. Sie schlug mit 28% des Mediabudgets zu Buche. Auch Targeting-Fees und sonstige Gebühren waren inkludiert. Für die Sell Side wurde die Technologiegebühr geschätzt, in Höhe von 15 bis 25 Prozent des Kampagnenbudgets. 39 bis 46 US-Cent jedes investierten Programmatic-Dollars bleiben demzufolge in der programmatischen Supply Chain auf der Strecke.

Deutschland: Adtech-Kosten liegen bei 20 bis 30 Prozent

Hierzulande dürften die Technologiekosten jedoch niedriger liegen. Studien liegen leider nicht vor. Holger Mews, Vorstand Continental Europe & MENA bei Adform, schätzt, dass DSP- und SSP-Kosten in Deutschland zusammengenommen zwischen 20 und 30 Prozent vom programmatischen Mediabudget ausmachen, zuzüglich den TKP-basierten Gebühren für sonstige Technologieprovider wie Brand Safety, Targeting oder Viewability.

Holger Mews, Foto: Adform/Holger Mews

„Der deutsche Markt ist wesentlich besser aufgestellt als der angelsächsische“, sagt Mews. Hierzulande agiere der gesamte Markt sehr kostenbewusst und kosteneffizient, viele Deals laufen über private Marktplätze, so dass nach seiner Einschätzung 70 bis 80 Prozent des Mediabudgets beim Publisher ankommen können. Natürlich sind Technologiegebühren auch immer Verhandlungssache und von der Marktmacht des Advertisers abhängig.

Hinzukommen die optionalen Technologiekosten für die Media-Veredlung, die sich über den TKP berechnen, beispielsweise für Brand Safety, Fraud Protection, Targeting, Viewability, 3rd Party Data oder Cross-Device-Targeting. Hier beginnt die Preisspanne in der Regel bei 0,05 Euro TKP (Brand Safety, Fraud) und kann für Datenprovider schon mal mit 1,50 Euro TKP zu Buche schlage.

Matthias Oschatz, Foto: Pilot / Matthias Oschatz

Die Gebühren für Contextual-Targeting- und Viewability-Provider liegen nach den Erfahrungen der Hamburger Agentur pilot heutzutage bei etwa 0,09 Euro TKP. Für Cross-Device-Targeting muss man laut pilot mit etwa 0,50 Euro TKP rechnen. Für die Hamburger Agentur ist es selbstverständlich, bereits vor dem Vertragsschluss mit einer Plattform genauestens zu prüfen, welche Gebühren, in welcher Höhe, mit welchem Abrechnungsmodell, basierend auf welcher Gegenleistung entstehen können sowie welcher voraussichtliche Effizienzgewinn gegebenenfalls zu erwarten ist. Diese Informationen werden unter anderem für die Kampagnenkonzeption, Angebotserstellung oder Kampagnenabrechnung nachgehalten. „Diese Kosten sind durchgängig, das heißt vom Vertrag über die Plattform-Reports bis zur Abrechnung, transparent“, sagt Matthias Oschatz, Direktor Technology Programmatic Advertising, pilot Hamburg.

Andere Kanäle, weniger Zusatztechnologie

Im Verhältnis sind die Technologiekosten für Programmatic Advertising jedoch deutlich höher als in anderen Kanälen. So fallen bei Search beispielsweise nur dann zusätzliche Kosten an, wenn Automatisierungs- oder Biddinglösungen hinzugenommen werden. Marktbeobachtern zufolge schlagen die Tech-Fees im SEA-Bereich mit etwa 5–6% des Mediabudgets zu Buche. Doch wie hoch die bereits eingepreisten Technologiekosten bei Google & Co. sind, ist unbekannt.

Auch im Social Advertising können Tech-Fees anfallen, wenn zusätzliche Lösungen eingebunden werden. Bei Facebook & Co. greifen Advertiser allerdings in der Regel auf die On-Board-Mittel der Plattform zu, so dass zusätzliche Technologiekosten nicht entstehen. Perspektivisch ist davon auszugehen, dass Technologie einen immer wichtigeren Stellenwert in der Werbung einnehmen wird – von Online über TV bis hin zur Außenwerbung.

Experten-Prognose: Adtech-Kosten werden sinken

Julian Simons, Foto: Mediascale/Julian Simons

Branchenexperten rechnen damit, dass die Technologiekosten hingegen nicht steigen. „Wenn wir davon ausgehen, dass der Anteil programmatischer Kampagnen vor allem auch in bisher analogen Kanälen ansteigt, können wir von der gleichen Systematik wie beim Adserving ausgehen – mehr Volumen führt zu sinkenden Preisen“, sagt Julian Simons, Geschäftsführender Gesellschafter Mediascale und stellvertretender Vorsitzender der Fokusgruppe Programmatic Advertising im BVDW. Insbesondere im Bereich Online-Display ist die Entwicklung schon weit fortgeschritten.

Auch Mews geht davon aus, dass die Technologiekosten für das Programmatic Advertising kurzfristig stabil bleiben und perspektivisch sinken. „Der Markt konsolidiert sich. Der Trend geht zum Full Stack“, sagt Mews, nach dessen Einschätzung sich immer mehr Advertiser lieber auf zwei oder drei Dienstleister beschränken, als mit vielen Spezialdienstleistern zu arbeiten. Das schafft Synergien, Transparenz und senkt die Kosten. Denn auch für die Zukunft gilt: Ad-Technologie wird immer dann ihre Berechtigung haben, wenn die Effizienzgewinne die Kosten überwiegen.

Bei pilot hat man die Erfahrung gemacht, dass im Vergleich zur nicht programmatischen Auslieferung üblicherweise in jedem Leistungsgebiet eine Verbesserung möglich ist. Eine übliche Effizienzsteigerung liegt nach Technologiekosten laut Oschatz zwischen 10 und 30 Prozent. „‚Working Budget‘ sollte sich daher aus unserer Sicht nicht nur auf die Mediakosten, sondern auch auf die Kosten effizienter Provider beziehen“, sagt Oschatz und betont: „Die große Chance von Programmatic Advertising liegt gerade im intelligenten Einsatz dieser Dienstleister.“

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Foto: Sven Schoderböck / Musikhaus Thomann

Die echten Online-Marketing-Rockstars kommen ursprünglich nicht aus Hamburg, sondern aus einem 160-Seelen-Nest namens Treppendorf in Oberfranken, Nähe Bamberg. Hier hat das Musikhaus Thomann seinen Stammsitz. Thomann gilt als weltweit größter E-Commerce-Händler für Musikinstrumente. Im letzten Jahr machte das Familienunternehmen einen Jahresumsatz von 715 Millionen Euro – 90 Prozent macht davon der Webshop aus. Mehr als 1.200 Mitarbeiter hat die Firma, die meisten von ihnen sind Musiker und Musikerinnen. Die rechte Hand von Chef Hans Thomann Junior ist Sven Schoderböck. Seit Mitte der 1990er ist dieser für IT und Marketing verantwortlich. Seit eineinhalb Jahren lebt Schoderböck in der Hansestadt und leitet vom Hamburger Büro, das Mitten in der Innenstadt liegt, die digitalen Geschicke. Ein Portrait.

Werdegang

Sven Schoderböck bezeichnet sich als ein „Kind der Branche“. Der Vater hatte ein Musikfachgeschäft in Fürth bei Nürnberg und war zusätzlich Musiklehrer. Die Mutter verkaufte Musikinstrumente. Sven lernte Klavier und Bassgitarre spielen und entdeckte, nachdem die ersten Heimcomputer den deutschen Markt eroberten, ein weiteres Hobby: Computer. – Und damit den Spaß am Programmieren. Die Leidenschaft hielt auch nachts an, die Schule interessierte immer weniger. „Das machte sich an den Noten bemerkbar und nach der zehnten Klasse verließ ich zum Leidwesen meiner Eltern das Gymnasium mit einem Realschulabschluss“, sagt Schoderböck. Um die Eltern zu beruhigen, machte er eine Lehre zum Einzelhandelskaufmann – natürlich in einem Musikfachgeschäft. Als Lehrling baute der eher zurückhaltende Nerd eine neue Abteilung in dem Geschäft auf. Nach bestandener Lehre machte Sven Schoderböck seine Hobbys zum Beruf und gründete zusammen mit Freunden eine Firma, um erfolgreich Musiksoftware zu programmieren.

Bereits in dieser Zeit hat Hans Thomann, der 1990 das Geschäft von seinem Vater übernommen hatte, immer wieder bei Sven Schoderböck angefragt – ob dieser nicht bei ihm arbeiten wolle. Schließlich kannte man sich. Die Branche ist überschaubar, der Wettbewerb stark und die Leidenschaft um so größer. Schoderböck, der sich in seiner Selbständigkeit nicht weiter mit Banken und Finanzämtern herumschlagen wollte und nach neuen Möglichkeiten Ausschau hielt, wollte sich Treppendorf zumindest einmal ansehen. Auf dem Sommerfest anno 1996 wurde dem damals 23-Jährigen ein Thomann-T-Shirt in die Hand gedrückt und „da ich eh gerade nichts anderes vorhatte, habe ich gleich mitverkauft. Seit dem Tag bin ich bei Thomann. Ich fand Hans Thomann Jr. cool, dass das Unternehmen unabhängig war, aufstrebend, er sein Ding gemacht hat“, sagt Schoderböck. Was ebenso für Thomann sprach: „Die Firma ist ein typischer Mittelständler. Verwurzelt, demütig, bodenständig, ehrlich und unabhängig. Also das komplette Gegenteil, was heute eine moderne Start-up-Hipster-Company ausmacht“, weiß der gestandene Bayer.

Warum digitales Marketing?

„Internet und Kommerz war für mich damals ein No-Go und Marketing fand ich einfach blöd“, sagt Schoderböck mit entwaffnender Ehrlichkeit. „Aber als ich die Technologien dahinter entdeckte, begann ich mich für digitales Marketing zu interessieren. Heute finde ich es super“, so der Wahlhamburger. Das digitale Marketing sei eine völlig neue, zielgerichtete und effiziente Art und Weise, mit Menschen zu kommunizieren. Geschichten zu erzählen, Botschaften zu versenden. Über Rückkanäle gäbe es die wichtigen Feedbacks: „Die Technologien dahinter sind faszinierend, aber auch spooky, gespenstisch“, sagt Sven Schoderböck. Den digitalen Bereich empfindet der 45-jährige Familienvater als weitaus ehrlicher als das klassische Marketing, in dem Verkaufstalente „viel heiße Luft“ vermarktet haben. Digitales Marketing ist für Thomann – wie überhaupt für die Musikbranche – überlebenswichtig.

Was ist das Spannende am digitalen Marketing?

Im Gegensatz zu vielen anderen Branchen, zum Beispiel der Autoindustrie, spricht der Musikfachhandel nur einen Bruchteil der Bevölkerung an. „Wir könnten uns zwar TV-Werbung leisten, es macht jedoch keinen Sinn, da der Streuverlust zu hoch ist“, sagt Schoderböck. Von daher gäbe es nur eines: zielgerichtetes Targeting. Die „ultracoolen Möglichkeiten“, die von Schoderböck und Team eingesetzt werden, sind u. a. Retargeting, Profiling über Facebook-Audiences aber auch Lookalikes. „Wir haben damit völlig neue Möglichkeiten, mit dem Kunden zu kommunizieren und diesen glücklich zu machen“, so Sven Schoderböck. Auch, wenn das Marketing- und E-Commerce-Team vieles inhouse macht, wurden einige Leistungen komplett außer Haus gegeben, SEO gehört dazu. Dafür verantwortlich zeichnet die Performance-Agentur Sunlab GmbH in Aschaffenburg. Gemeinsam haben die Unternehmen die nötige Technologie entwickelt. Die wichtigen Daten werden auch weiterhin von Thomann geliefert. „Wir wollen keinen Wissensverlust, sondern setzen auf den Transfer unseres Fachwissens“, sagt Sven Schoderböck.

Apropos Fachwissen: Seit wenigen Wochen ist die „Videoberatung live aus Treppendorf“ für alle Kategorien des Webshops freigeschaltet. Europas größtes Musikhaus betritt auch hier neue Pfade. Denn nicht jeder Musikfan macht sich nach Treppendorf auf, um sich vor Ort im 5.500 qm großen thomannschen Flagship-Store umzuschauen.

Was sind die größten Herausforderungen für Thomann?

„Wir haben mehrere Herausforderungen, die nicht allein das digitale Marketing betreffen“, sagt Sven Schoderböck. Eine Herausforderung betrifft unsere Mitarbeiter, „die nicht jünger werden. Wir brauchen eine neue, jüngere Riege, die dichter an den heutigen technologischen Anforderungen dran ist“, so der Marketingexperte. Treppendorf, das eine halbe Stunde von Bamberg entfernt liegt, sei für junge Menschen, die gerade ihre Ausbildung oder ihr Studium beendet haben, kein Wunschzielort. Aschaffenburg ist es schon eher. Auch die Hamburger Dependance zahlt auf den musikaffinen Recruiting-Faktor ein.

Eine weitere Herausforderung läge im Verbund „Suche und E-Commerce“. Es seien Amazon und Google, die den Standard definieren. „Wenn ein Kunde bei Amazon eine Rolle Klopapier bestellt, versteht derselbe Kunde nicht, warum unsere Suche auf thomann.de komplexer ist. Als mittelständisches Unternehmen beschäftigen wir 15 Webseitenentwickler und keine Hundertschaften“, sagt Schoderböck. Auch die Logistik will bewältigt werden:

„Ein 140 Zentimeter langer Bass geht bei DHL nicht über die Bänder, ein digitales Piano muss – im Gegensatz zu einer Klopapierrolle – mit der Spedition geliefert werden. Auch daran denken viele Kunden nicht“, sagt Schoderböck mit nüchternem Ton. Eine weitere Herausforderung sieht der Thomann-Vertreter darin, nicht von US-amerikanischen Konzernen abhängig zu werden, die ob der Wertschöpfungskette nur zu gerne etwas von der thomannschen Marge hätten.

Auch deswegen zieht eine Tochterfirma externe Webseiten von Musikern hoch: „Wir betreiben einige der wichtigsten Plattformen für Musiker – Online-Magazine, Foren, Blogs –, um Musiker zu informieren, weiterzubilden und zu bespaßen. So erreichen wir unsere Kunden auch ohne teure Google- und Facebook-Anzeigen“, freut sich Sven Schoderböck. Diese Webseiten werden von den thomannschen Niederlassungen in Hamburg und Düsseldorf betreut und sie sind redaktionell komplett unabhängig vom Stammhaus in Treppendorf. Die größte Herausforderung sieht Sven Schoderböck jedoch im Bereich der digitalen Disruption, die weder vor den Toren in Treppendorf, London, New York City, Barcelona, Bangalore oder Tokio etc. haltmachen wird. Wie auch immer. „Die Welt wird jeden Tag geiler, aber auch komplizierter“, bilanziert Sven Schoderböck sein Leben.

Bild Sandra Goetz

Autor/in

Sandra Goetz ist seit 2006 als freie Autorin für ADZINE an Bord. Ihr Fokus liegt auf Interviews zu aktuellen Innovationsthemen im digital Media und Marketing. Außerdem schaut sie sich bei ihren Auslandsreisen immer wieder nach spannenden Geschichten aus der globalen Marketing-Welt um, Interviews inklusive. Seit 2016 verantwortet Sandra die ADZINE Entscheider-Serie.
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