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Bild: rokit_de, photocase.de

Ende September platzte die Bombe. Facebook gestand ein, zwei Jahre lang die durchschnittliche Sehdauer der auf Facebook laufenden Videowerbespots falsch berechnet zu haben. Und zwar so falsch, dass die tatsächliche durchschnittliche Betrachtungsdauer der ausgespielten Spots 60 bis 80 Prozent unter den Angaben von Facebook lag. Dieser Vorfall mündet in eine grundsätzliche Frage. Wie glaubwürdig sind eigentlich die Kampagnenmetriken von Facebook oder anderen Walled Gardens, wie beispielsweise Google? Der Ruf nach unabhängigen Kampagnenmessungen wird lauter.

Das war mehr als nur peinlich. In den angelsächsischen Wirtschaftsnachrichten war die Facebook-Misskalkulation bei den Video-Views über längere Zeit ein Topthema. Facebook hatte über zwei Jahre falsche Zahlen zur Videowerbung ausgewiesen. Was war geschehen?

Facebooks Misskalkulation bei der Sehdauer von Videowerbung

Zunächst einmal ist es wichtig zu verstehen, dass Facebook nicht falsch gemessen hat, sondern eine falsche Kalkulation für die durchschnittliche Betrachtungsdauer eines Werbespots auf Facebook zugrunde legte.

Ursprünglich definierte Facebook die durchschnittliche Sehdauer eines Videospots aus der gesamten Sehdauer geteilt durch die Anzahl der Video-Views, die den Spot drei Sekunden oder länger betrachtet haben. Daraus ergab sich eine zu hohe durchschnittliche Betrachtungszeit der Werbespots, die Abweichungen liegen zwischen 60 bis 80 Prozent von der Realität. Facebook hat den Kalkulationsfehler nach Bekanntwerden angepasst. Für die Berechnung der durchschnittlichen Sehdauer werden nun alle Videoabrufe – also auch solche, die weniger als drei Sekunden stattfanden – zur Berechnung herangezogen.

Facebook sagt selbst: "We had previously *defined* the Average Duration of Video Viewed as "total time spent watching a video divided by the total number of people who have played the video." But we erroneously had *calculated* the Average Duration of Video Viewed as "the total time spent watching a video divided by *only* the number of people who have viewed a video for three or more seconds." – „Video Average Watch Time: the total watch time for your video, divided by the total number of video plays. This includes plays that start automatically and on click. This will replace the Average Duration of Video Viewed metric.“

Der Kalkulationsirrtum zeigt, dass die Facebook-Nutzer sehr viel kürzer die Videospots betrachtet haben, als es in den Reports von Facebook dargestellt wurde. Damit hatte ein Werbespot auf Facebook auch deutlich weniger Wirkungschancen beim Rezipienten als angenommen. Die Sehdauer ist allerdings keine Abrechnungsgrundlage, sondern nur eine Hilfsmetrik, darauf macht Facebook selbst in dieser Diskussion aufmerksam. Ein US-Facebook-Sprecher dazu: „We recently discovered an error in the way we calculate one of our video metrics. This error has been fixed, it did not impact billing, and we have notified our partners both through our product dashboards and via sales and publisher outreach. We also renamed the metric to make it clearer what we measure. This metric is one of many our partners use to assess their video campaigns.”

Das sehen offenbar einige Advertiser völlig anders. Laut dem Branchenmagazin MediaPost ist inzwischen eine Klage dreier Advertiser anhängig. Sie werfen Facebook vor, dass die falsche Videometrik die Advertiser und ihre Agenturen dazu angehalten hätten, weiterhin Videowerbung auf Facebook zu buchen.

Besonders für die Mediaagenturen entsteht damit eine schwierige Situation. Sie stehen gegenüber ihren Werbekunden in der Pflicht, da sie deren Budgets möglichst effizient verwalten müssen.

„Wir sind da sehr unglücklich“, sagt Oliver Gertz, Managing Director Interaction , EMEA Mediacom. Gertz weiter: „Die durchschnittliche View-Dauer war zwar nicht die abgerechnete Währung, doch natürlich sind die Entscheidungen für einen bestimmten Publisher auch sehr von qualitativen Metriken abhängig."

„Daher fordern wir von allen Vermarktern, dass wir die Mediaauslieferung durch unabhängige Adserver- und Verfikationstools messen können – inklusive Viewability, Fraud, Brand Safety und bei Videosehdauer.” (Oliver Gertz, Mediacom EMEA)

Facebook macht hingegen darauf aufmerksam, dass sie bereits Verifizierungsdienste einsetzten. „Um Werbetreibenden die Wahlmöglichkeiten und Transparenz zu bieten, die sie brauchen, haben wir unser Programm zur Verifizierung durch dritte Partner ausgeweitet. So stellen wir die Genauigkeit und Richtigkeit unserer Metriken für Viewability und Aufmerksamkeit sicher. Im September 2015 haben wir bekannt gegeben, dass Moat offiziell zu den Verifizierungspartnern zählt. Das Programm umfasst nun mit Nielsen, Comscore und Integral Ad Science noch drei weitere Partner“, so ein Facebook-Sprecher gegenüber Adzine. Unsere Recherche hat ergeben, dass auch der deutsche Metrikendienstleister Meetrics kurz vor einer Partnerschaft mit Facebook stehen soll. Doch noch ist das nicht der Fall. Merkwürdig ist nur: Warum haben Moat und die anderen genannten Dienstleister die Abweichungen zwischen den ausgewiesenen Facebook-Zahlen und der tatsächlichen Betrachtungsdauer dann nicht erkannt?

Die Mediaagenturen setzen lieber auf ihre eigenen Verifizierungsdienste, mit denen sie selbst die wichtigsten KPIs ihrer Kampagnen messen können. So hat Dentsu Aegis beispielsweise aus diesem Grund gemeinsam mit vielen großen Vermarktern eine Initiative namens „Scale“ ins Leben gerufen. Gemeinsam mit dem Verification-Anbieter ihrer Wahl – in diesem Fall Meetrics – werden alle von Dentsu Aegis eingebuchten Kampagnen auf Basis der gleichen Benchmarks wie beispielsweise Sichtbarkeit, View-Through-Rate und Audience durchgemessen. Scale wird aber bisher nur von den „Dentsu Aegis“-Agenturen und nur außerhalb von Facebook oder auch Google eingesetzt. Den Wirkungsbeitrag der Videokampagnen auf Facebook und den anderen Walled Gardens versucht man mit „Brand Uplift“-Studien nachzuweisen.

Laut Angaben von Frank Sültmann, Managing Director der Dentsu-Tochter Amnet, würden diese Studien den Wertbeitrag der Videowerbung auf Facebook auch regelmäßig belegen. Facebook-Videowerbung funktioniert also auch fürs Brand Advertising. Sültmann plädiert dennoch dazu, dass Facebook und Google zukünftig unabhängige Dienstleister nach Wahl der Mediaagenturen zulassen.

„Für uns ist maßgeblich, dass keine wirtschaftlichen Schäden für unsere Kunden entstanden sind. Was wir nun tun, sind weitere Brand Uplift Studien mit Facebook durchzuführen. Solange wir den Mehrwert im Brand Uplift bestätigen können, müssen die Mess-Probleme natürlich behoben werden, wir können aber den Mehrwert für unsere Kunden dennoch gewährleisten.” (Frank Sültmann, Amnet (Dentsu-Aegis))

Oliver Gertz von Mediacom glaubt, dass am Ende die Advertiser am längeren Hebel sitzen und sich mit der Forderung nach eigenen Messungen in den Walled Gardens auch durchsetzen werden: „Als Online-Werbung vor über 15 Jahren gestartet ist, hatten wir lange Diskussionen mit Vermarktern, ob wir die Werbeauslieferung durch eigene 3rd-Party-Adserver messen können. Der Kampf wurde von den Werbekunden gewonnen. Der gleiche Kampf läuft nun auch mit den Walled Gardens, doch letztendlich zahlen die Werbekunden alles. Daher sollten sie auch auf unabhängiger Messung bestehen – durch die akkreditierten Tools, die Werbekunden oder die Agentur auswählen.“

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Thames TV, Bild: YouTube Screenshot

Unter Gamern ist das Livestreaming längst schon zum Alltag geworden. Auf YouTube genießen „Let's Play"-Videos zwar auch große Beliebtheit, jedoch bieten Livestreams, die hauptsächlich auf der Streaming-Plattform Twitch laufen, mehr direkte Interaktion mit dem Streamer und die Chance, sich durch Spenden den persönlichen Dank der Internetberühmtheit zu sichern. Seit Anfang des Jahres können Nutzer von Facebook und Twitter nun auf ihren Plattformen Live-Inhalte ansehen. Auch andere mitgliedsstarke Dienste, wie die Hype-App Musical.ly haben die Zeichen der Zeit erkannt und setzen nun auf Live-Inhalte.

Bei YouTube sind Live-Inhalte schon länger verfügbar, jedoch haben sich Social-Media-Plattformen wie Facebook und Twitter 2016 fast simultan mit der Erweiterung des eigenen Netzwerks um Livestreams befasst. Twitter hat zwar bereits 2015 den Livestreaming-Dienst Periscope übernommen, jedoch gibt es erst seit Anfang 2016 die Implementierung des Dienstes in die eigene Kurznachrichtenplattform. Facebook ist diesen Weg ohne den Kauf eines externen Anbieters gegangen und hat im Januar 2016 damit begonnen, das neue Feature auszurollen.

Die Plattformen haben sich für die Veröffentlichungen der Livestreaming-Dienste ein gutes Jahr ausgesucht. Neben der Europameisterschaft sollten besonders die Olympiade und die US-Präsidentschaftswahlen genug Großevents bieten, um großen Medienhäusern die Möglichkeit zu geben, sich an die neue Technologie der sozialen Netzwerke heranzuwagen.

US-Wahlen fanden live im Feed statt

Da es besonders bei Sportveranstaltungen Probleme mit den Senderechten zu befürchten sind, können die Medienhäuser mit ihrem Livestream lediglich vom Rand der Veranstaltung berichten, nicht jedoch die eigene Veranstaltung zeigen. Mit der US-Präsidentschaftswahl hatten sie jedoch die Möglichkeit, den Stream vollständig in die eigene Berichterstattung mit einzubeziehen. Und tatsächlich haben unter anderem ABC News, die New York Times und Washington Post die Gunst der Stunde genutzt und ein Liveprogramm zu den Wahlen auf Facebook angeboten. Allerdings diente der Stream, zumindest bei den TV-Sendern, auch bei diesem Event nur als Zusatzquelle zum eigentlichen TV-Angebot.

Einen entscheidenden Punkt gegen die vollständige Freigabe des TV-Streams in den sozialen Medien liefert Christy Tanner, SVP und GM von CBS News Digital, gegenüber Digiday. Zwar bietet CBS Live-Übertragungen zu wichtigen Eilmeldungen auf Twitter und Facebook an und sieht dies als einen öffentlichen Dienst, allerdings gäbe es über die sozialen Plattformen zurzeit noch keine klare Möglichkeit der Monetarisierung. Solange dies nicht gewährleistet sei, würde man nicht das eigene Publikum und die Einnahmen kannibalisieren.

Streams kommen von privaten Nutzern

Vincent Nicolai, Bild: buddybrand Presse

Vincent Nicolai, Geschäftsführer der Social-Media-Agentur Buddybrand, sieht in den Livestreams vorranging Potenzial für private Streamer und nicht für Medienhäuser: „Wir leben inzwischen in einer Always-on Gesellschaft. Überall und zu jeder Zeit kann Content konsumiert und publiziert werden – am besten in 'snackable' Länge von 8 bis 10 Sekunden à la Snapchat. So muss es nicht immer der 2-Stunden-Livestream sein, sondern kann auch einfach real-time in unsere Instagram- und Snapchat-Feeds gepusht werden. Instagram testete zuletzt in seinem Story Feature eine Livefunktion: Button gedrückt halten und schon streame ich live in die Feeds meiner Follower. Das ist dann so integriert und gekonnt, dass das bald auch bei den Massen ankommen wird. Ich denke, dass kurze Nutzerlivestreams eher den Markt machen werden als langwierige Liveübertagungen von Events, die ja ohnehin schon zum Standardrepertoire jedes Medienhauses gehören.“

Allerdings gibt es bereits Beispiele, bei denen sich Brands und auch Organisationen der Livestreaming-Möglichkeiten von Facebook und Twitter bedient haben. So bietet die World Surf League (WSL) ihre Wettbewerbe via Livestream sowohl über ihre App als auch über Facebook an. Twitter hingegen scheint mehr auf einzelne Events ausgerichtet zu sein. So plant McDonalds einen kompletten Live-Event über die Plattform und zeigt, wie Brands die Livestreams für sich nutzen können.

Für Nicolai sind Medienhäuser und die Plattformen dabei jedoch vorrangig in der Rolle eines Kurators für die Inhalte, die von Nutzern generiert werden: „Mit steigender Akzeptanz und Verständnis für Livecontent bei den Nutzern wird auch die Anzahl an professionellen Streams zunehmen. Interessanterweise sehe ich hier vor allem den Gaming-Markt in einer Vorreiterrolle. Twitch und YouTube Gaming ziehen schon heute Millionen Nutzer in die Game-Livestreams von Let's Playern. Und auch hier sind die Medienhäuser nicht die Macher hintern den Streams, sondern Teens in ihren Kinderzimmern. Ich sehe daher vor allem die Medienhäuser und Anbieter wie YouTube und Snapchat in der Rolle eines Kurators. Snapchat macht das mit Live Stories schon sehr gut: Das Tor beim Bundesligaspiel aus 20 Blickwinkeln von Nutzern, mobil für jeden live konsumierbar.“

Musical .ly – Hype-App mit Ambitionen

Wie wichtig das Livestreaming-Feature für die sozialen Plattformen wird, zeigt die Entwicklung einer der jüngst gehypten Apps unter Jugendlichen, Musical.ly. Die Plattform hat mit einem Angebot ähnlich wie Dubsmash, die App des Berliner Unternehmens Mobile Motion, damit begonnen, Nutzern die Möglichkeit zu bieten, Videos aufzunehmen, bei denen sie sich zum Playback bekannter Lieder filmen können. Anders als Dubsmash, das sein Angebot hauptsächlich auf Filmzitate begrenzt und nur zum Erstellen der Videos genutzt werden kann, bietet Musical.ly auch ein soziales Netzwerk, auf dem sich Nutzer verknüpfen und ihren Lieblings-„Musern“ folgen können. Mittlerweile erfreut sich Musical.ly nach eigenen Angaben über etwa 100 Millionen Nutzer. Schnell habe man jedoch bemerkt, dass die Nutzer nach mehr verlangten, als nur kurze Musikclips zu veröffentlichen. So wurde Mitte 2016 mit Live.ly eine zusätzliche App nachgeschoben, die es ermöglicht, Livestreams aufzunehmen und auf Musical.ly zu streamen. Hier haben die Streamer zusätzlich die Möglichkeit, sich durch Geschenke der Zuschauer zu monetarisieren. Dafür kaufen die Zuschauer In-App-Währung, womit sie ihren Streamern Geschenke machen können. Der Streamer erhält daraufhin auf seinem Display ein visuelles Symbol, das je nach Höhe der Spende in Form und Größe variiert. Musical.ly verdient an den Geschenken ebenfalls mit.

Für Werbetreibende bietet sich in dieser Form des Streamings bisher nur die Produktplatzierung als Form der Werbung an. Banner- oder Videowerbung bieten die Livestream-Apps bisher nicht an. Der Social Media Experte Vincent Nicolai prognostiziert, wie Livestreaming-Inhalte monetarisiert werden könnten: „Wer das Tor beim Bundesligaspiel auf Snapchat aus 20 Nutzerwinkeln in Smartphonequalität konsumiert, hat sicherlich großes Interesse an einer HD-Übertragung von SKY. Die Angebote von den Medienhäusern werden zukünftig immer kleinteiliger werden. Heute kaufe ich mir eine ganze Bundesligaspiel-Liveübertragung bei SKY Ticket, morgen kaufe ich mir dann die letzten 5 Minuten bei SKY Moment via Snapchat inkl. Nutzerstreams."

Fazit

Livestreams werden sich professionalisieren. Jedoch wird der Livestream über Facebook, Twitter oder andere Plattformen nicht dieselben Live-Inhalte beinhalten, wie die klassischen Kanäle der Medienhäuser. Dafür gibt es zurzeit noch zu wenig Monetarisierungsmöglichkeiten. Vielmehr wird das Angebot der Medienhäsuer kleinteiliger. Nutzer könnten ihnen dabei als Contentlieferanten dienen und so eine Ergänzung zu ihren traditionellen Sendemitteln bieten.

Abseits von Produktplatzierungen sind Werbetreibende jedoch darauf angewiesen, dass Facebook und Co. Möglichkeiten schaffen, um Werbemittel in die Streams einfließen zu lassen. Anregungen können sie sich hierbei in der Gaming-Szene holen. Bei Twitch sind Video-Ads mittlerweile Teil der Streams. Es bleibt allerdings die Frage, ob Publisher und Werbung wirklich dabei mitziehen.

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