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Rawpixel. com, Bild: Rawpixel.com -Adobe Stock

Während Programmatic Advertising in Deutschland derzeit vergleichsweise zurückhaltend betrieben wird, rechnen Pubmatic, Magna Global und IDC damit, dass in den USA der automatisierte Handel mit Werbeplatzierungen bis 2020 65 Prozent des gesamten digitalen Werbeumsatzes des amerikanischen Marktes ausmacht. Auf dem hiesigen Markt werden derzeit jedoch noch kleinere Brötchen gebacken. Programmatic ist noch auf dem Weg sich zu etablieren, für viele jedoch noch nicht dort angelangt.

Programmatic in der heißen Phase?

Im jährlich erscheinenden Real Time Marketing Kompass hat sich die OMG-Tochter Resolution Media näher mit der Frage beschäftigt, in welcher Phase sich der programmatische Handel derzeit befindet. Um Antworten zu finden, bemühten sie den Gartner Hype Cycle (GHC) und Experten, um eine Einordnung in den derzeitigen Entwicklungszyklus vorzunehmen. Der GHC stellt dazu die verschiedenen Phasen der Aufmerksamkeit dar, die eine neue Technologie bei deren Einführung durchläuft.

Das Marktforschungsunternehmen Gartner unterteilt den Hype Cycle dabei in eine „Trigger Phase“ (A), eine Phase übertriebener Erwartungen (B), eine Phase der Ernüchterung (C) und eine Phase der nachhaltigen Entwicklung (D). Zuletzt folgt die Phase der Produktivität (E). Für die letzte Phase hat Gartner eine Unterteilung in eine nachhaltige Entwicklung von größerer Bedeutung (Mainstream) und untergeordneter Bedeutung (Nische) vorgenommen.

Der Hype Cycle nach Gartner zeigt die Entwicklungsstufen von Programmatic Advertising auf. , Bild: Resolution Media - RTM Kompass 2016

Die Einteilung von Programmatic durch die befragten Experten in den Hype Cycle fällt sehr heterogen aus. Etwa ein Viertel von ihnen sieht den programmatischen Handel noch in der ersten Phase, die sich durch übertriebene Erwartungen auszeichnet. Jeweils knapp 20 Prozent der Befragten sieht Programmatic bereits in den Phasen B (19 Prozent) und C (18 Prozent). Lediglich fünf Prozent sieht die Technologie auf dem Weg in die Nische in Phase D. Dem stehen 32 Prozent entgegen, die Programmatic in der Phase der nachhaltigen Entwicklung auf dem Weg in den Mainstream sehen. Die Phase der Produktivität, welche mit erneut wachsender Relevanz einhergeht, hat der automatische Anzeigenhandel noch nicht erreicht.

Es ist nicht alles RTB

Häufig missverstanden, stehen Programmatic und Real-Time Bidding (RTB) nicht für dieselbe Technologie. Denn während RTB immer programmatisch gehandelt wird, bedeutet dies nicht, dass Programmatic nur aus RTB besteht.

Beim RTB handelt es sich lediglich um ein Verfahren im programmatischen Handel, das jedoch den größten Anteil davon ausmacht. Im klassischen Verkauf von Inventar handeln sowohl auf Seiten der Publisher als auch seitens der Werbetreibenden Personen unter Absprache miteinander. So können Werbetreibende für ihre Kampagnen beim Vermarkter Inventar für einen festen Preis einkaufen. Das Inventar ist durch ihre Kampagne geblockt. Dieselbe Möglichkeit gibt es auch im programmatischen Handel durch Programmatic Guaranteed. Der Unterschied ist jedoch, dass die Einkäufe weitestgehend durch Maschinen abgehandelt werden. Diese Technik erlebte jedoch erst 2015 ihren Durchbruch. Den größten Anteil von Programmatic macht jedoch RTB aus. Hier bieten Werbetreibende automatisiert auf das Inventar der Vermarkter. Es gibt unterschiedliche Auktionsformen wie Preferred Deals, die eine automatisierte Verhandlung zwischen einem Werbetreibenden und Vermarkter erlauben, Private Auctions für eine ausgewählte Gruppe Werbetreibender und die Open Auctions, die jedem offenstehen.

Performance oder Branding? Beides!

Programmatic hat es mit sich gebracht, dass Kampagnen besser auslesbar sind und direkte Erfolge und Kaufabschlüsse messbar machen. Dies hat besonders das Performance Advertising in den Mittelpunkt gerückt. Der Return of Investment kann nun direkt mit der Click Through Rate und anderen Metriken in Verbindung gebracht werden. Anders als beim Branding, wo das Image der Marke gepflegt wird und sich die Kreativen der Branche austoben können, geht es bei Performance um die harten Zahlen.

In den Anfängen mag Programmatic hauptsächlich performanceorientiert gewesen sein, mittlerweile etabliert sich jedoch auch Branding im programmatischen Handel. Daran haben auch Brand-Safety und Premium-Inventar einen größeren Anteil, beide bedingt durch die voranschreitende Entwicklung von Programmatic.

Hierzulande nimmt Programmatic Branding immer mehr Fahrt auf. So hat das Adtech-Unternehmen Quantcast für seinen „Programmatic Advertising Report" herausgefunden, dass 58 Prozent der Agenturen und Werbetreibern in Deutschland bereits in Programmatic investieren. Befragt wurden 100 Marketingentscheider zu ihren Programmatic-Advertising-Strategien.

Alle Befragten sind auf dem Feld „Programmatic Branding“ aktiv. Die größte Gruppe, mit 46 Prozent, gab an, anteilig bis zu einem Fünftel ihres Programmatic-Buying-Budgets speziell für Branding auszugeben. 26 Prozent kommen auf anteilig zwischen 21 und 40 Prozent. Weitere 11 Prozent investieren sogar mehr als 61 Prozent ihrer Programmatic-Budgets ins Branding. Tendenz steigend, denn bis 2017 wollen gut zwei Drittel der Befragten noch mehr Budget für Programmatic Branding aufwenden.

Aktuell investieren rund 50 Prozent der Werbetreibenden ein Fünftel ihres Budgets in Programmatic Branding., Bild: Quantcast "Programmatic Advertising REport"

Die Befragung zeigt, dass zwischen Performance und Branding im programmatischen Handel gar kein Konflikt herrschen muss. Stattdessen hat auch Branding im Programmatic Advertising seinen Platz. Man stelle sich vor, dass die Branding-Kampagne immer die richtigen Zuschauer erreicht, die auch wirklich Interesse an dem Produkt beziehungsweise der Marke haben. Demnach würde Programmatic die klassischen Branding-Kampagnen nicht verdrängen, sondern nur kosteneffizienter, weil gezielter, gestalten.

Ein langer Weg in Deutschland

Dass Programmatic auf dem richtigen Weg in den Mainstream ist, zeigen Befragungen, Einschätzungen von Experten und tatsächliche Zahlen – bisher hauptsächlich aus den USA. Der Entwicklungsstand des programmatischen Handels im englischsprachigen Raum liegt für den deutschen Markt jedoch noch in weiter Ferne. Einerseits hält man hier an bewährten Methoden fest und andererseits bieten die Direktverkäufe der Publisher immer noch die höchsten Viewability-Raten.

Die Viewability-Rate liegt beim programmatischen Handel gut 10 Prozent tiefer., Bild: eMarketer;

Stefan Hezel, Bild: Resolution Media Presse

Dass Programmatic über kurz oder lang den Markt dominieren wird, glaubt auch Stefan Hezel, Managing Partner bei Resolution Media: „Programmatic wird in Zukunft ohne Zweifel die vorherrschende Einkaufs- und Planungsart darstellen: Echtzeitabwicklung, Skalierbarkeit und Targeting-Möglichkeiten sowie insbesondere der audience-zentrierte und nicht mehr inventarbezogene Ansatz bieten wesentlich mehr Möglichkeiten als die klassische Planung. Wir gehen aber davon aus, dass Platzierungen insbesondere an sehr strategischen Stellen, bspw. zur Besetzung von Themen und mit Leuchtturmfunktion, noch einige Jahre im Direktvertrieb verbleiben werden“

Hezel sieht jedoch für die Zukunft von Programmatic besonders bei den Vermarktern noch Nachholbedarf: „Ungenutztes Potenzial sehen wir derzeit insbesondere auf der Publisher-Seite. Gerade die Datenqualität der angebotenen Inventare kann noch vielfach verbessert werden: So werden unserer Einschätzung zufolge bei Daten zum verfügbaren Werbeplatz sehr häufig Informationen zur tatsächlichen Ad Position (above the fold? below the fold?) gar nicht mitgeliefert, bei vielen Bewegtbildwerbeplätzen fehlt der wichtige Hinweis zur Video-Player-Größe. Eine Verbesserung dieser Basisdaten auf Anbieterseite würde die Bereitschaft zur Abnahme deutlich erhöhen und die Preisbereitschaft steigern, weil damit auch die Kampagnenergebnisse optimierbar sind.“

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ONLINE VERMARKTUNG
Multi-SSP Ansatz – Darf es ein bisschen mehr sein?

Jens von Rauchhaupt
Bild: Alibi - Photocase.com

Nicht jede Supply Side Platform (SSP) ist mit allen marktrelevanten Einkaufsystemen (DSPs) verbunden. Zudem beherrschen nicht alle Vermarktungsplattformen in gleichem Maße Mobile, Video und Desktop. Ist es für die Angebotsseite von Vorteil, mehrere Supply Side Platforms einzusetzen oder geht dies zu Lasten der Einkaufseite, weil damit der Preis für einen Werbekontakt in die Höhe getrieben wird? Das ist eine Frage, die im Zusammenhang mit dem Einsatz von Systemen für Programmatic Advertising immer wieder gestellt wird.

Für die Verkäuferseite geht es beim Einsatz einer SSP darum, an möglichst vielen Demand-Quellen wie DSPs und Exchanges optimal und effizient angeschlossen zu sein und eine Anbindung so zu gewährleisten, dass in Echtzeit (“Real-Time”) die Preisinformationen an den Adserver übergeben werden, um diese mit allen auf einem Inventar gebuchten Kampagnen gegeneinander auszusteuern. Das Ziel ist dabei ein höchstmögliche Preis für jede Impression.

In der Einführungsphase der SSP-Technologie testen Vermarkter oder Publisher verschiedene Systeme und Anbieter, um die Leistung miteinander zu vergleichen. Insbesondere die Anbindung an die relevanten Demand-Partner (DSPs, Exchanges) und die Integration an oder in den Adserver im Sinne der holistischen Aussteuerung stehen hier im Fokus der Betrachtung. Diese Tests laufen optimalerweise zeitlich voneinander getrennt auf den gleichen Supply-Quellen (also Websites, Apps) ab und nicht zeitgleich. So wird eine Beeinflussung der unterschiedlichen Technologien ausgeschlossen. Dieses Vorgehen geschieht mit dem Ziel, eine optimale SSP pro Supply-Quelle zu finden, idealerweise entscheidet sich ein Vermarkter für eine "Haupt-SSP", die hauptsächlich zum Einsatz kommt.

Wann entsteht die Notwendigkeit, unterschiedliche SSPs einzusetzen?

Es kann aber notwendig werden, für unterschiedliche Supply-Quellen wie Mobile, Video, Standard-Display und Sonderformate unterschiedliche SSPs einzusetzen. Da aktuell nicht alle SSPs beispielsweise auch Instream-Video gleichermaßen gut beherrschen, gibt es dafür auch Spezial-SSPs. Auch Programmatic Direct ist eine Funktion, die noch nicht alle SSPs gleich gut umsetzen und so den Einsatz unterschiedlicher Systeme notwendig machen können. In den USA ist es durchaus üblich, dass die Publisher gleichzeitig an mehrere Supply Side Platforms und Marktplätze angeschlossen sind, in Deutschland ist diese Konstellation bisher kaum verbreitet. Allenfalls wird neben der Stamm-SSP Google's Adexchange angeschlossen, um so von der Nachfrage aus Google Adsense profitieren zu können.

Mario Gebers

Mario Gebers, Director Business Development DACH vom SSP und Marktplatzanbieter OpenX, glaubt, dass es für Publisher durchaus lohnenswert sein kann, mit mehreren SSPs zu arbeiten: „Wenn mehrere SSPs genutzt werden, stehen auch viel mehr Demand-Quellen bereit, was den Wettbewerb stärkt und somit auch höherer Erlöse für den Publisher einbringt. Insbesondere in einem Setup mit Header Bidding werden diese Vorteile deutlich. Aus technischer Sicht ist hinzufügen, dass selbst wenn zwei SSPs rein theoretisch die gleichen Demand-Quellen angeschlossen haben, in der Regel nicht alle Demand-Partner gleichberechtigt angefragt werden. Die Nutzung mehrerer SSPs ermöglicht eine gleichmäßige Einbindung der Demand-Seite. Ein zusätzlich beachtenswerter Punkt bei der Auswahl verschiedener SSPs: Manche SSPs sind regional sehr stark vertreten, verfügen aber in anderen Ländern oder auch Regionen über keinen signifikanten Footprint – mit einer ausgewogenen Auswahl an SSPs lässt sich internationaler Traffic optimal monetarisieren.“

Julien Gardès

Julien Gardès, der neue Europachef des US amerikanischen SSP-Betreibers Rubicon Projekt widerspricht Gebers, jedenfalls in einem Punkt: Der Einsatz mehrerer SSPs, die mit den gleichen Demand-Partnern arbeiten. „Das beste Szenario ist der Einsatz einer einzelnen SSP, sofern diese Video, Mobile und Desktop gleich gut beherrscht. Es wäre ein großer Fehler, zwei oder drei SSPs mit den gleichen Möglichkeiten und Features einzusetzen, sofern diese mit den gleichen Demand Partner verbunden sind. Je mehr SSPs ein Publisher nutzt, umso weniger wird er mit seinem Inventar verdienen. Es lassen sich aus 1 Mio. Impressions keine drei Millionen machen, nur weil man drei SSPs einsetzt. Die Einkaufsseite sucht „Unique Inventory“, den man nicht überall findet. Es gibt eine ziemlich treffende Aussage zum Multi-SSP Ansatz: 'Wenn Du überall bist, bist Du nirgends'. Ein Publisher sollte besser darauf achten, wo sein Inventar zur Verfügung steht und die Kontrolle darüber haben. Wer sein Inventar überall anbietet, landet schneller in der Arbitrage-Ecke als ihm lieb ist. Außerdem verkompliziert der Multi-SSP Ansatz die Arbeit der Einkaufsseite. Sie will das unique Inventory des Publisher einmal und nicht dreimal kaufen und dies noch zum möglichst günstigsten Preis. Publisher, die mehrere SSP nutzen, die an den gleichen Demand Partnern angeschlossen sind, kannibalisieren sich selbst.“

Gefahr der Intransparenz für den Einkäufer?

Es stellt sich also die Frage, ob es auch sinnvoll ist, SSPs zeitgleich auf der gleichen Demand-Quelle wie etwa ein bestimmtes Format auf einer Website und mit der gleichen Dealform (z. B. Private Auction) einzusetzen. Für die Einkaufsseite ist es nicht immer eindeutig klar, über welche SSP bzw. über welchen Deal eine bestimmte Supply-Quelle am Markt angeboten wird. Das kann zu Irritationen führen. In einem solchen Szenario ist es nämlich möglich, dass der Käufer mit seiner DSP auf die gleiche Impression über mehrere SSPs gleichzeitig bietet und sich im Extremfall sogar selbst überbietet.

Tibor Gaddum

„Die Gefahr besteht, dass der gleiche Käufer die Impression vom Vermarkter über mehrere Systeme (SSPs) auf seiner DSP angeboten bekommt und so gegen sich selber bietet. Klar, das ist zunächst ein sehr theoretischer Fall und die Frage ist, wie viel Prozent das wirklich betrifft. Wir selbst wollen dies aber im Sinne unserer Kunden vermeiden“, sagt Tibor Gaddum, Geschäftsführer vom Online-Vermarkter Quarter Media. Der Vermarkter arbeitet mit mehreren SSPs, allerdings werden bei den Hamburgern nur Gebote unterschiedlicher Werbeformen wie Video, Mobile und Sonderformate oder unterschiedlichen Dealformen gleichzeitig gegenüber den DSPs abgegeben. „So werden Doppelangebote der gleichen Kunden auf dieselbe Impression vermieden", sagt Gaddum. Der Einsatz unterschiedlicher SSPs ist laut Gaddum dennoch angebracht, wenn die „Haupt-SSP“ bestimmte Funktionen nicht abdecken kann oder wenn spezielle Kunden eine andere SSP wünschen. „Unserer Erwartungen wurden insofern erfüllt, dass wir den Käufern damit ein umfangreiches programmatisches Angebot machen können und sich die TKPs dadurch gesteigert haben“, berichtet Gaddum.

Gaddum glaubt wie Gardès von Rubicon, dass sich Publisher ins eigene Knie schießen, soweit sie die Gefahr der Doppelangebote nicht ernst nähmen. „Zunächst könnte man denken, dass dies aus Publisher-Sicht zu höheren TKPs führt, was wahrscheinlich kurzfristig auch der Fall sein wird. Mittel- bis langfristig werden die Käufer diese Konstellationen allerdings entdecken und gar nicht mehr bieten und die Nachfrage auf den so angeschlossenen Supply wird wieder sinken. Der Einsatz mehrerer SSPs zeitgleich auf dieselbe Impression macht also nur dann Sinn, wenn solche Doppelangebote entweder von unserer Seite oder von Seiten der DSPs vermieden werden können, und wenn eine weitere SSP zusätzliche Käufer bringt. Sobald Adserver sogenannte SSP-Mediations ermöglichen, bei denen verschiedene SSPs schon innerhalb des Systems gegeneinander bieten, macht es definitiv Sinn, dies weitestgehend einzusetzen."

Es zeigt sich zurzeit auch eine Entwicklung im Zusammenhang mit der Integration des Header Biddings in die Adserver bzw. SSP-Systeme, dass es schon möglich ist, unterschiedliche SSPs so zu integrieren, dass Doppelgebote und Marktirritationen über die führende SSP verhindert werden.

„Gerade in unserem heimischen Markt besteht von Käuferseite der Wunsch und die eindeutige Tendenz der relevanten Marktteilnehmer, über Private Auctions und Deal-ID einkaufen zu wollen. Mit dieser Technik können bei einer vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen Käufer und Verkäuferseite Doppelgebote weitestgehend ausgeschlossen werden. Der Verkäufer kann zwar dem Käufer theoretisch über verschiedene Deal-IDs aus derselben oder unterschiedlichen SSPs auch zeitgleich dieselben Impressions anbieten. Über einen Abgleich der URLs wird dies in der Praxis allerdings vermieden“, sagt Gaddum.

Die Aussage, dass der Multi-SSP Ansatz nicht lohnenswert sei, mag auf eine klassische Wasserfall-Vermarktung ohne Header-Bidding vielleicht zutreffen. Beim Waterfall-Prinzip, zuweilen auch als Daisy Chain bezeichnet, wird der Kanal, der den meisten Gewinn verspricht vom Publisher als erstes bedient, die Vergabe der Impression ist fest priorisiert. Bei dem Einsatz von Header Bidding gilt aber diese Argumentation nicht mehr, glaubt Gebers von OpenX „Hier profitiert der Publisher voll vom Einsatz mehrerer SSPs. Es macht keinen Unterschied, ob der Bidder individuell im Header eingebunden oder über client- oder serverseitige Container implementiert ist. Das höchste Gebot gewinnt, die Entscheidung trifft der Adserver oder sie findet im Container statt. So hat die Demand Seite immer ein sehr hohes Interesse das höchste Gebot abzugeben. Dieser holistische Ansatz von Header Bidding lässt eine Kanibalisierung nicht zu", sagt Gebers.

Dies gelte sogar in der herkömmlichen Wasserfall-Vermarktung, sofern der Publisher seine Floorpreise im Griff hat und sich über die Qualität des jeweiligen Traffics im Klaren ist. „Qualitativ hochwertiger Traffic wird durch gut angebundenen Demand gleich versteigert, weiter unten im Wasserfall kommen dann auch weitere Demand Partner zum Zuge. Diese haben beispielsweise bei der führenden Exchange ein weniger gutes Ranking (weniger Anfragen) oder sind dort gar nicht angebunden. Auch gibt der Multi-SSP Ansatz dem Publisher die Option Private-Marketplace-Deals (PMP) über eine zweite oder dritte SSP abzuwickeln. Das ist beispielsweise für den Fall wichtig, wenn die DSP nicht an die primäre SSP angeschlossen ist, was immer noch vorkommen soll", so Gebers.

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Bild: kavzov, Adobe Stock

Beim Aufsetzen einer Kampagne in einer Demand Site Platform (DSP) wird für jede Buchung – analog zum klassischen Mediaplan – ein sogenannter Line Item definiert. Für jede Zielgruppe, Format, Tageszeit oder sogar Regionen muss dafür jeweils eine neue Programm-Zeile angelegt und die alte angepasst werden. Diese ständige Veränderung der Line Items erhöht die Komplexität und erschwert die Arbeit von Mensch und Maschine. Die Anforderungen an die QPS - Queries per Second, also die Anzahl von Anfragen pro Sekunde, die ein System maximal abarbeiten kann - sind mit der derzeitigen Programmatic-Infrastruktur schwierig zu handhaben. Sind also die derzeitigen Einkaufs- und Adserversysteme mit dem gestiegenen Angebot und der erhöhten Nachfrage überfordert? Dies ist umstritten.

Sacha Berlik, Managing Director EMEA der Einkaufsplattform The Trade Desk, sagt ja und empfiehlt eine Abkehr von den Line-Item-basierten Systemen. Er schreibt in seinem ADZINE Gastbeitrag vom 21. Juni unter anderem: „Die Grundarchitektur unserer schönen neuen Welt ist zutiefst ineffektiv und der Workload der wichtigsten Mitarbeiter im Maschinenraum hat sich im Bereich der einfachen, manuellen Tätigkeiten massiv verschlechtert und nicht, wie erhofft, auf ein höheres, analytischeres Niveau bewegt. Für tiefe, fundierte Analysen ist im täglichen Line-Item-Rausch oft schlichtweg keine Zeit.“

Als Alternative empfiehlt Berlik die Arbeit mit sogenannten „Bidfaktoren“, deren Einsatz auch als Factorized Bidding bezeichnet wird. Dabei werden alle relevanten Targetingkriterien hinzugefügt und diese werden dann einzeln – gemäß ihrer Relevanz – gewichtet. Dieses Vorgehen ersetzt einerseits Dutzende von Line Items und ermöglicht granulare Gebote, die von Line-Item-basierten Technologien nicht beherrscht werden würden. Berlik weiter: „Die Zukunft erfordert ein massives und konsequentes Umdenken der Grundarchitektur des Großteils der am Markt befindlichen DSP-Systeme, um den wachsenden Anforderungen von Kundenseite und Targetingmöglichkeiten gerecht zu werden. Das bloße Integrieren von neuen Targeting- und Inventaroptionen reicht nicht aus.“

Sacha Berlik, The Trade Desk, bei seiner Keynote über Line Items und Bidfaktoren auf der Adtrader 2016, (Klicken für Videoabruf), Foto: ADZINE, Klick to Play Video

Nicht alle Branchenteilnehmer teilen Berliks Meinung. Jochen Schlosser, Senior Vice President Data beim Ad-Tech-Anbieter Adform (DSP, SSP, und DMP), glaubt zwar auch, dass Factorized Bidding die Komplexität deutlich reduziert, weil dadurch zum Beispiel vormals 160 Line Items auf übersichtliche 40 mit im Schnitt vier Bid-Faktoren reduziert werden. Von einer Überforderung der derzeitigen Einkaufssysteme könne aber laut Schlosser in seiner Replik auf Berliks Ausführungen keine Rede sein. „Ob ich nun 160 Zeilen betrachte oder eine einzelne Zeile mit 160 Faktoren, spielt für die Komplexität der Aufgabe absolut gar keine Rolle. Es stellt sich vielmehr unabhängig von der Struktur dieser Kampagnendaten die Frage, wie ich die Komplexität der Entscheidungsfindung reduziere.“

Jochen Schlosser

Den Algorithmen sei es laut Schlosser völlig egal, wie eine Kampagne aufgesetzt wird. „Der wahre und einzige Grund zum Einsatz von Bid Factors (oder sollen wir uns auf Bietpreismodifikatoren einigen) sitzt vor dem Computer. Für den Anwender ist es extrem wichtig, komplexe Kampagnen in handhabbare Stücke zu schneiden, dabei helfen uns die Bid Factors. Nur so kann der Marketeer den Überblick behalten und optimieren, an den Stellen, an denen die Systeme heute noch überfordert sind oder sie Starthilfe benötigen, bevor genügend Daten eingesammelt sind.“

Lesen Sie dazu den aktuellen Gastkommentar von Jochen Schlosser auf Adzine.de.

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