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Trends, Trends, Trends, geradezu inflationär überschütten zurzeit PR-Agenturen, Dienstleister und Fachmedien die Branche mit den – aus ihrer Sicht – wichtigsten Trends für 2016. Dabei kommt es wohl immer auf die Perspektive des Absenders an, was 2016 für das Online-Marketing wichtig werden könnte. Die kurzfristigen Trends verdienen eigentlich weniger Beachtung als die langanhaltenden Prozesse, mit denen wir uns bei ADZINE schon seit einigen Jahren besonders intensiv beschäftigen. Daher werden auch 2016 Programmatic Advertising, Data & Targeting, Mobile Advertising und die Videowerbung die bestimmenden Themen sein.

Der automatisierte Mediahandel, also Programmatic Advertising, wird 2016 wie im Jahr zuvor das bestimmende Thema für Mediaeinkäufer und Vermarkter bleiben. Programmatisch eingebuchte Brand-Kampagnen und damit „Automated Guaranteed Inventory“ werden 2016 besondere Beachtung finden. Zudem zeichnet sich schon jetzt eine interessante Entwicklung ab: Es scheint, dass sich Programmatic Advertising im mobilen Werbegeschäft weitaus schneller etabliert hat, als es bei der stationären Werbung der Fall war.

Das liegt daran, dass der mobile Werbekanal für die Vermarkter ein recht neues Betätigungsfeld ist und neue Vermarktungsmechanismen schneller adaptiert werden, da sie auf weniger Widerstand bei den Vermarktern stoßen als seinerzeit im Desktop-Bereich. Allerdings stehen die Publisher und ihre Vermarkter bei Mobile Programmatic vor einem Problem. Sie müssen es schaffen, dass ihr mobiles Inventar an möglichst vielen Einkaufsplattformen angeschlossen wird. Noch immer gibt es viel zu wenige mobile Kampagnen, um das mobile Inventar befriedigend zu monetarisieren. Die Mobile Spendings wachsen zwar kontinuierlich an, aber ein sprunghafter Anstieg ist auch im Jahr 2016 nicht zu erwarten.

Aus diesem Grund werden große Vermarkter sich nicht nur mit einer SSP begnügen, sondern gleich mehrere Supply-Side-Plattformen (SSP) integrieren. FMCG-Advertiser lassen ihre Kampagnen immer häufiger von internationalen Tradings Desks programmatisch planen und einkaufen. Daher ist es auch für deutsche Publisher wichtig, solche SSPs zu integrieren, die mit diesen internationalen Trading Desks und ihren DSPs verknüpft sind. So überrascht auch die Meldung nicht, dass Gruner+Jahr EMS nun die US-amerikanische SSP Pubmatic für die programmatische Vermarktung des Mobile-Inventars einsetzt und das, obwohl man bereits mit Yieldlab zusammenarbeitet.

Die mobile Nutzung – und dabei meine ich insbesondere die Smartphonenutzung – wird von Apps dominiert. Das belegen alle bisherigen Untersuchungen, die in diese Richtung angestellt wurden. Etwa 70% der mobilen Nutzungszeit entfallen auf Apps. Die Werbetreibenden und ihre Agenturen haben das erkannt und werden 2016 deutlich mehr in die In-App-Werbung investieren. Gleichzeitig werden die Advertiser mit diesem Werbekanal weiterhin hadern. Dies hat technologische, konzeptionelle und mediaplanerische Gründe. Denn auf dem kleinen und persönlichen Bildschirm ist die wirksame Verankerung von Werbebotschaften kein Selbstläufer und auch eine Frage der Dosis, also des Werbedrucks. Daher bleibt Cross-Device eine technologische und mediaplanerische Herausforderung, die bisher nur Facebook und vielleicht Google für ihren Traffic befriedigend lösen können. In diesem Zusammenhang sollte die Entwicklung des Medienhauses Ströer genau beobachtet werden. Der neue Reichweitenriese aus Köln hat nach seinen ganzen Zukäufen das Zeug, ein echtes Gegengewicht zu Facebook und Google zu bilden.

2016 wird die Bewegtbildwerbung einen größeren Wandel erleben. Das liegt zum einen an der Etablierung der neuen Outstream-Formate, die das Bewegtbildangebot deutlich vergrößern. Zum anderen versuchen die großen Vermarktungshäuser Online-Bewegtbild mit der TV-Vermarktung zu koppeln. Die großen privaten TV-Sender, aber auch das Medienhaus Axel Springer haben sich dafür bereits aufgestellt. Zudem steht Programmatic TV in den Startlöchern. Doch während Programmatic TV eher ein Thema für 2017 sein wird, werden wir noch eine weitere Entwicklung in der Bewegtbildwerbung beobachten können. Online-Unternehmen werden vermehrt auf Spartensendern TV-Werbung schalten und dann die Nutzer über Video-Remarketing-Kampagnen auf YouTube abholen. Dazu werden Spezialagenturen gebraucht, die für den Kunden Kreation, Data Management und Media-Buying übernehmen, um die Nutzer mit individualisierten Werbebotschaften in Videoform anzusprechen.

2016 steht mit der steigenden Automatisierung und Digitalisierung des Werbegeschäfts ganz im Zeichen von Transformation. Das berührt selbst ADZINE.de. So haben wir Ende des Jahres 2015 unseren Online-Auftritt modernisiert, ein Prozess, der noch nicht abgeschlossen ist. Eine neue mobile Website wird folgen. Aber lassen Sie sich von unserer neuen Bildersprache nicht irritieren. Noch immer verbergen sich hinter den bunten Bildern knallhart recherchierte Inhalte und interessante Interviews.

Die Adzine Redaktion wünscht Ihnen ein glückliches und erfolgreiches Jahr 2016!

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Thorsten Schmitt - Dollarphotoclub.com

Über die Integration einer sogenannten Mediation-SDK von darauf spezialisierten Adtech-Firmen können App-Publisher den Zugang zu einer Vielzahl von mobilen Ad Networks und Demand Side Platforms bündeln und so ihre App weit effektiver monetariseren. Neben Smaato und Fyber ist das Unternehmen Addapptr hier tonangebend. Addapptr wurde 2012 in Hamburg gegründet. Inzwischen hat allein die Hamburger Zentrale 20 Mitarbeiter, weitere Standorte sind Paris und Polen und das Geschäft um die Vermarktung von Apps blüht grenzüberschreitend. 80% des Umsatzes erwirtschaftet Addapptr im Ausland. Wir sprachen mit Patrick Kollmann, der Addapptr gemeinsam mit Alexander von Geest gegründet hat.

Adzine: Herr Kollmann, können Sie uns etwas über die Historie von AddApptr sagen?

Kollmann: Wir haben unseren Ursprung in der App-Entwicklung. Bevor es zur Gründung von AddApptr kam, hatten wir vorrangig Spiele für Nokia, Sony Ericsson und später das iPhone und Android entwickelt. Es wurden von uns verschiedene Wege zur Monetarisierung getestet, wobei sich zeigte, dass Werbung in den Apps den besten Umsatz versprach. Wir begannen damit, die bekannten mobilen Werbenetzwerke wie AdMob von Google, iAd von Apple, Millenial Media und InMobi in unsere Apps zu integrieren. Trotz guter Umsätze waren uns die Einkünfte zu unzuverlässig. Es gab Tage, an denen die Werbenetzwerke alle Werbeflächen gefüllt hatten, und Tage, an denen 95% der Flächen ungenutzt blieben.

Adzine: Wie sind Sie das Problem angegangen?

Patrick Kollmann

Kollmann: Als Lösung für dieses Problem entwickelten wir unsere eigene Mediation-Lösung, um mit möglichst vielen Werbenetzwerken zusammenarbeiten zu können. Dies war noch bevor Programmatic Advertising zum Thema wurde. Anfänglich nur von uns selbst und befreundeten App-Entwicklern benutzt, erkannten wir jedoch bald das Potenzial dieser Mediation-Lösung und gründeten vor drei Jahren AddApptr. Nach der Gründung ist die Firma schnell gewachsen und mittlerweile arbeiten wir mit über 1000 App-Publishern zusammen und liefern 2 Milliarden Ad Impressions im Monat aus. Es ist im In-App-Advertising eine klare Tendenz hin zum Programmatic Advertising mittels Real-Time Bidding (RTB) zu erkennen. Mittlerweile machen wir 70% unserer Umsätze programmatisch auf den großen mobilen RTB-Markplätzen wie Google AdX, MoPub, smaato und Nexage. Eine Zusammenarbeit mit OpenX und PubMatic ist gerade angelaufen.

Adzine: Wie verdient AddApptr sein Geld?

Kollmann: Wir haben ein Revenue-Share-Modell und nehmen im Schnitt einen 15-prozentigen Anteil auf die Umsätze, die wir optimieren. Viele der größeren Publisher setzen zusätzlich noch auf Premium-Advertising, was von ihnen selbst oder einer Agentur kommt. Dies wird teilweise auch über unsere Plattform vertrieben. Hiervon nehmen wir allerdings keine Anteile. Wir konzentrieren uns vor allem auf den Performance-Bereich.

Adzine: Das heißt, es geht ausschließlich um Performance-Kampagnen? Wird die App-Werbung weiterhin von erfolgsbasierten Abrechnungsmodellen dominiert werden?

Kollmann: Im Moment befinden wir uns im Wandel. Bisher wurden zu ganz großen Teilen Performance-Kampagnen bearbeitet. Noch machen Performance-Kampagnen einen Anteil von 70 bis 80% aus. Es eröffnet sich jedoch aktuell ein neuer Bereich, der Private Marketplaces und Direct Deals über Programmatic beinhaltet. Es handelt sich um eine Premiumvermarktung, die über die programmatische Plattform abgebildet wird. Sowohl mehrere große Publisher als auch Advertiser und Exchanges zeigen Interesse an diesen neuen Möglichkeiten. Es wird im Mobile-Bereich versucht, die Premiumdeals, die heutzutage im Desktop-Advertising häufig noch als Fax laufen, jetzt auch auf die programmatische Plattform zu ziehen.

Zudem spielt das Werbeformat eine wichtige Rolle in der Entwicklung weg von Performance-Kampagnen. Wir beobachten, dass bei Advertisern die Nachfrage nach Mobile-Video-Werbung immer weiter steigt. Es ist dadurch absehbar, dass in einem Jahr der Anteil von Performance-Kampagnen weit unter 70 bis 80% liegen wird.

Adzine: Können Sie uns erklären, was ein Mediation-SDK ist? Wie viele Werbe-SDKs verträgt eine App überhaupt?

Kollmann: Wir haben die einzelnen SDKs (Anm. der Redaktion: Ein Software Development Kit, kurz: SDK, ist eine Sammlung fertiger Programme, die zum Erstellen von neuer Software verwendet wird. In diesem Fall bietet das SDK die Möglichkeit, ein Werbenetzwerk in die eigene App einzubinden.) der Werbenetzwerke, der Exchanges und auch die großen Adserver, wie Google DFP, in unser SDK integriert, sodass der App-Entwickler mit nur einem SDK auskommt und es nicht zu Schwierigkeiten zwischen den unterschiedlichen SDKs kommen kann.

Das Problem, vor welches ein Entwickler gestellt wird, ist die Menge unterschiedlicher SDKs, die er in seiner App unterbringen kann. Eine App kann im Idealfall mit bis zu 4 SDKs problemlos funktionieren. Vergrößert sich jedoch die Anzahl dieser integrierten Programme, dann lädt die App langsamer und arbeitet nicht mehr optimal. Es kann sogar dazu kommen, dass die SDKs sich gegenseitig abschalten.

Es gibt ein weiteres Problem: Anders als im Desktop-Bereich, wo JavaScript-Tags üblich sind, möchte im In-App-Bereich jeder sein eigenes SDK haben, da er dadurch in die App integriert ist und First-Party-Daten aus der App ziehen kann. Dabei handelt es sich meist um Basisdaten, wie IP-Adressen, kann aber auch Geotags oder alle weiteren Daten, die von der App freigegeben werden, beinhalten. Diese Daten gehen dann an die Exchanges. Unser SDK bietet sowohl dem Entwickler als auch den Werbenetzwerken, Exchanges und Adservern die Möglichkeit, in größtmöglicher Anzahl in einer App vertreten zu sein, ohne dass es zu softwareseitigen Problemen kommt.

Adzine: Gibt es Konkurrenzdenken zwischen den Entwicklern von Mediation-SDKs? Smatoo wirbt im Moment stark damit, dass sie das beste Mediation-SDK haben.

Kollmann: Von starkem Konkurrenzdenken kann nicht die Rede sein. Wir integrieren zum Beispiel das SDK von smatoo in unseres und generieren zudem Traffic für sie. Im Gegensatz zu unseren Wettbewerbern sind wir unabhängig und neutral. Die meisten unserer Konkurrenten sind entweder ein Werbenetzwerk oder haben eine eigene Exchange. Wir sind keines von beidem und haben auch keine eigenen Kampagnen. Dadurch können wir unabhängig über den Markt optimieren. Wer den besten Preis zahlt, der kann werben. Wir haben kein Interesse daran, eigene Kampagnen zu schalten, und arbeiten zudem über ein Revenue-Share-Modell. Letztendlich wächst der InApp-Bereich allerdings so stark, dass man sich nicht mit Konkurrenzgebaren aufhalten, sondern einfach den Markt weiter ausbauen sollte.

Adzine: Wie entwickelt sich der mobile Werbemarkt aus Sicht von AddApptr insgesamt? Ist es die Masse an Apps, die Traffic generiert, oder sind es ein paar wenige große Publisher, die die Reichweite auf sich vereinen?

Kollmann: Es sind definitiv die wenigen großen Apps, die Traffic bringen. Es kommen jedoch immer wieder neue hinzu. Das größte Wachstum findet allerdings nicht im Bereich der Apps selbst statt, sondern bei den Kampagnen, die in den Apps geschaltet werden. Anfangs hatten nur die App-Gaming-Firmen für ihre Spiele geworben und mittlerweile entdecken immer mehr E-Commerce und Brand-Unternehmen das In-App-Advertising für sich, da sie merken, dass sie hier den Nutzer gut erreichen. Diese Entwicklung befindet sich jedoch noch am Anfang.

Adzine: Können Sie uns noch etwas über die Preisentwicklung in der In-App-Werbung der letzten Jahre sagen?

Kollmann: Bei uns ist es durch die Optimierung der RTB-Exchanges zu einem weltweiten Durchschnitt von 1 €/eTKP gekommen. Programmatic hat bei uns zu einer Verdreifachung des eTKP gesorgt. Davor lag er bei ca. 30 Eurocents. Der meiste Umsatz wird dabei im Ausland generiert. Lediglich 20% entfallen auf den
deutschen Markt.

Adzine: Wie unterscheiden sich die internationalen Märkte von Deutschland? Gibt es Unterschiede mit Hinblick auf Programmatic?

Kollmann: Ja. Es sind definitiv Unterschiede zu beobachten. Gerade in den USA ist Programmatic Advertising bereits mehr in den Bereich Mobile integriert. Dies zieht sich durch alle Bereiche. Es wird mit größeren Umsätzen gehandelt und man ist den Private Deals und Private Marketplaces aufgeschlossener. Der In-App-Bereich ist wesentlich größer und der eTKP liegt wesentlich höher als in Europa. Dies ist dadurch bedingt, dass dort schon etwas länger als hier Werbeplätze programmatisch gehandelt werden.

Adzine: Haben Sie durch das Bündeln der SDKs auch mit Demand Side Platforms (DSP) der Advertiser zu tun?

Kollmann: Wir haben einige Mobile DSPs, wie MdotM und AppLovin, bei uns eingebunden. Der Trend geht allerdings dahin, alles über die Exchanges abzuwickeln. Wir stellen somit die 1000 Apps, die wir verwalten, in unserem Account auf den Exchanges zur Verfügung und an diesen Exchanges sind wiederum die DSPs angebunden. Daher macht es in den wenigsten Fällen Sinn, eine DSP in unser SDK zu integrieren.

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Yury Zap -Dollarphotoclub.com

Alle Statistiken aus dem Werbemarkt – insbesondere wenn es um betrügerische Aktivitäten, den Ad Fraud geht – sind mit extremer Vorsicht zu genießen. Üblicherweise haben die Herausgeber solcher Reports ein starkes eigenes Interesse, eine Zahl deutlich zu über- oder zu untertreiben, doch gewisse Tendenzen lassen sich ableiten. Und selbst, wenn wir in allen Bereichen die konservativsten Zahlenwerke miteinander kombinieren, blicken wir auf ein Riesenproblem, das vor allem das Video Advertising betrifft.

Die weltweiten Werbeumsätze werden in diesem Jahr wohl über 500 Milliarden Dollar liegen. Der Online-Werbemarkt in Deutschland ohne Suchmaschinenwerbung ist etwa drei Milliarden Euro schwer. Davon werden 1,5 Milliarden Euro mit Bannerwerbung umgesetzt. Der deutsche Videowerbemarkt wird auf gut 300 Millionen Euro und der weltweite Videowerbemarkt auf circa 11 Milliarden Dollar geschätzt. Um eine alte Metapher zu gebrauchen: Geld zieht Betrüger an wie Motten das Licht und dieser Berg von Geld glänzt so hell wie die Sonne.

Fraud bei Displaywerbung lohnt kaum

Im gewaltigen Displaymarkt ist Fraud schon lange ein Problem, mit dem der Markt gelernt hat umzugehen. Die IAB geht davon aus, dass 11% des gesamten Display-Traffics über Botnetzwerke generiert werden. Das wäre in dieser Milchmädchenrechnung ein Gesamtumsatz von 55 Milliarden Euro – nur durch Bot-Traffic im Displaybereich. Doch Stopp! Bei aller Freude an Milchmädchenrechnungen ist der Anteil des Bot-Traffics extrem ungleich verteilt. Und ein großer Teil des Bot-Traffics schafft es überhaupt nicht bis in die Abrechnungen der Vermarkter, sondern ist lediglich ein technisches Filterproblem für die Adserver. Die Margen im hart umkämpften Displaymarkt sind so eng, dass es sich für viele Betrüger nicht mehr lohnt, Forschung und Entwicklung in diesem Bereich zu betreiben.

Ein Großteil des Bot-Traffics besteht aus einem stupiden Laden der entsprechenden Zählpixel. Ich persönlich verstehe nicht, warum es den Fraud-Markt im Displaybereich überhaupt noch gibt. Meiner Meinung nach ist der Markt einfach dadurch zu vernichten, dass man die Preise für die Betrüger in die Höhe treibt. Wenn wir es schaffen würden, die notwendige Komplexität der Betrugsmaschinen nur etwas zu erhöhen, wird es aus wirtschaftlichen Gründen kaum noch möglich sein, gewinnbringend zu betrügen.

Bei der Videowerbung spielt für die Betrüger die Musik

Videowerbung ist etwas vollkommen anderes. Auf der einen Seite stellen Werbevideos viel höhere Anforderungen an Kriminelle. Die Komplexität einer validen Videowerbeauslieferung ist nicht zu unterschätzen, aber der potenzielle Erlös ermöglicht es, ganz andere Aufwände zu betreiben, als es bei Display möglich ist. Der Preis von Videokampagnen liegt um Größenordnungen über dem Preis von Displayanzeigen. Da spielt die Musik.

Spielen wir das Spiel einmal durch. Nehmen wir für den Moment einmal an, ich wäre ein skrupelloser Betrüger. Was würde ich tun? Ich würde zunächst ein Webportal erfinden, dass seriös und plausibel klingt. Heimwerker25. de zum Beispiel: „Heimwerker25. de ist ein Portal für den Selfmadehandwerker mit vielen Videoanleitungen“. Das erfundene Heimwerker25. de-Portal hat 95.000 erfundene Unique User im Monat mit 290.000 Visits und 255.000 Videoabrufen.

Eine Facebook-Seite mit gekauften Freunden ist schnell gebaut, um die Glaubwürdigkeit der Geschichte zu erhöhen. Die Seite selbst wird innerhalb eines Tages mit zusammengesuchten Heimwerkervideos aus aller Welt gefüllt. Sie muss nur einem oberflächlichen Check bestehen können. Der gesamte Traffic dieser Webseite wird über einschlägige Portale gekauft (ich werde an dieser Stelle keine Werbung für die Betrüger machen). 1000 hochqualitative Seitenaufrufe aus solchen Botnetzen kosten zwischen 0,35 € und 1 €. Das ist Traffic, der nicht so leicht von einem simplen Filter entdeckt wird.

Mit dieser Webseite gehe ich zu einem Vermarkter meiner Wahl und bekomme (je nach Verhandlungsgeschick) zwischen 7€ und 12€ für 1000 Kontakte – bei einer extrem guten Ad Fill Rate, da ich mich bei meinen gekauften Besuchern nicht mit Adblockern und ähnlichen Unbequemlichkeiten herumschlagen muss. 1000% Rendite – über den Daumen gepeilt. Heimwerker25. de macht jetzt also ca. 2500€ Umsatz im Monat, bei marginalen Kosten.

Jetzt würde ich 200 von diesen Webseiten bauen. Und das ganze Ding nennen wir Vertical Network. Die Videos können jetzt sogar teuer eingekauft werden. Das macht auf den ersten Blick keinen Unterschied, da die Filme ja praktisch nie von einem echten Menschen gesehen werden, aber es steigert die Seriosität meines Produktes/Netzwerkes natürlich enorm, wenn dort namhafte Produzenten ihre Filme zeigen.

Der Aufbau dauert ein Jahr und danach macht das gesamte Netzwerk einen Jahresumsatz von 6 Millionen Euro. Verbrechen lohnt sich eben manchmal doch. Nehmen wir für den Moment einmal an, es wäre so leicht (und es ist so leicht). Was bedeutet das? Die IAB geht von einem Fraud-Faktor von 23% im gesamten Videomarkt aus. Ich halte das persönlich für realistisch, möchte aber noch einmal betonen, dass diese 23% selbstverständlich extrem ungleich verteilt sind.

Die Wahrscheinlichkeit, dass eine bekannte Webseite Fraud Traffic dazukauft, liegt praktisch bei null; einfach, weil es viel mehr zu verlieren als zu gewinnen gibt und die dortigen Entscheidungshierarchien überhaupt nicht wie Betrüger denken können. Webseiten mit User Generated Content bilden eine Ausnahme, doch der Markt ist hier sehr sensibel. Ich würde das als Sonderfall ausklammern wollen. Das bedeutet: Der Fraud-Anteil auf Nicht-Premiumwebseiten muss die 0% Fraud im Premiumsegment zusätzlich kompensieren, um auf 23% zu kommen. Autsch! Und Premium ist in diesem Fall ein sehr weit gefasster Begriff. Damit meine ich Webseiten, deren Namen man zumindest schon einmal gehört hat.

Zusammenfassend kann man sagen: Der Videomarkt macht es Betrügern sehr leicht, einen Teil der Umsätze abzuschöpfen. Das funktioniert vor allem deshalb so gut, weil die von Zahlenmanipulationen direkt Betroffenen praktisch nie die Geschädigten sind. Fraud schädigt nur solche Marktteilnehmer, die nicht an Fraud beteiligt sind. Also in erster Linie die Premiumplattformen und Vermarkter, die sich ausschließlich auf Premiumplattformen konzentrieren. Die Werbekunden und ihre Mediaagenturen haben Fraud, wie jede andere Unwägbarkeit auch, in die Werbewirksamkeit des Mediums eingepreist. Man kann sagen: Fraud macht Videowerbung im Mittel weniger effektiv, da ein Teil der ausgestrahlten Werbung von Computern und nicht von Menschen gesehen wird. Adserver rechnen überwiegend nach Pay-Per-Use-Modellen ab. Je mehr, desto besser. Vermarkter auch. Statistiksysteme auch. Es gibt keine unmittelbar Geschädigten. Die mittelbar Geschädigten sind alle Marktteilnehmer, die ohne Zahlenmanipulationen mit den niedrigen Werbepreisen zurechtkommen müssen. Sie zahlen den Betrug.

Es folgt die spannende Frage: Was tun?

Die natürliche Reaktion auf diese Frage ist: Fraud härter direkt zu bekämpfen. Ich halte dies insbesondere im Videobereich für eine nicht zielführende Reaktion. Im klassischen Displaygeschäft mag es gelingen, den Fraud einfach durch die Erhöhung der Komplexität des Betruges aus dem Markt zu drängen, aber im Videobereich sind die Margen so hoch, dass unter den gegebenen Regeln für Werbeauslieferungen im Videobereich die Betrüger sehr große Ressourcen bereitstellen können. Wir können den Markt für Zahlenmanipulationen etwas härter machen, aber wir werden das Problem so nicht los.

Meiner Meinung nach gibt es nur eine zielführende Strategie, um dieses Problem zu lösen. Wenn wir die Betrüger nicht aus dem Videomarkt bekommen, dann müssen wir eben die, die nicht betrügen, herausnehmen. Und mit ihnen alle „echten“ Zuschauer. Menschen, die wirkliche Kaufentscheidungen treffen und ein echtes Einkommen haben, Menschen mit Interessen. Übrig bleiben Bots, Betrüger, Computer, Zahlenreihen. Bei Online-Computerspielen wird dies schon länger praktiziert.

Zumeist ist es sehr aufwendig, die Betrüger (sog. Cheater) aus dem Spiel zu verbannen. Deshalb sind einige dazu übergegangen, die Cheater einfach gegen Cheater spielen zu lassen. Wenn man die nicht betrügenden Spieler einfach nicht in Kontakt mit den Betrügern kommen lässt, dann kann auch niemand betrogen werden.

Konkret würde dies bedeuten, eine Allianz der Premiumvermarkter und Premiumplattformen zu gründen. Dieser Verband würde sich selbst extrem harte Kriterien zur Fraud-Bekämpfung auflegen. Sehr harte Transparenzkriterien, technologische Kontrollen, drakonische Strafen bei Vergehen. Eine unabhängige Agentur sorgt für die Kontrolle der Einhaltung der Kriterien. Herauskommt beispielsweise ein Gütesiegel des Verbandes. Dieses garantiert, dass Ad Impressions mit diesem technischen Siegel tatsächlich von einem echten Menschen gesehen werden.

Im Gegenzug könnten die teilnehmenden Webseiten und Vermarkter ihre Preise stark erhöhen. Bei 23% Fraud im Videomarkt müsste bei einer Preiserhöhung von 20 bis 30% die Werbewirkung des Mediums ungefähr gleichbleiben. Und warum sollten die Mediaagenturen diese Mondpreise bezahlen? Selbstverständlich können sie weiterhin im klassischen Markt ihre Werbung buchen. Dieser Markt funktioniert wie vorher, nur dass es einfach keine echten Menschen mehr gibt, die Werbung sehen. Dieser Markt wird sterben. Denn wie oft kann man einem Computer oder Bot eine Werbung für Waschmittel zeigen, bevor er anfängt selbstständig Waschmittel zu kaufen? Ich würde wetten, eine ganze Zeit lang.

Der Weg, um Fraud aus dem Markt zu entfernen, ist nicht, den Fraud selbst zu bekämpfen. Wir müssen es wirtschaftlich sehr unattraktiv machen, Fraud zu kaufen. Dann ist es nämlich den teilnehmenden Parteien wie Mediaagenturen, Adservern, Vermarktern und Plattformen nicht länger egal, wie viel Fraud bei ihnen oder anderen stattfindet. Es wird auf einmal wirtschaftlich relevant, nichts mit Betrügern zu tun zu haben und nicht von Betrügern zu kaufen.

Für diese Idee kämpfe ich und rede mit sehr vielen Parteien in diesem Markt darüber. Es ist ausgesprochen knifflig, dies zu realisieren, da sehr viele Hände an einem Strang ziehen müssen. Und diese Hände gehören zum Teil Konkurrenten, die nicht miteinander reden oder reden möchten. Und wenn sich diese Parteien miteinander absprechen sollten, die Preise am Tag X um 20% zu erhöhen ... das würde sicherlich das Kartellamt interessieren; mit äußerst unangenehmen Folgen.

Hier ist viel Sensibilität gefragt. Aber das Ziel, das Leben für Betrüger etwas schwieriger zu gestalten und ehrlichen Marktteilnehmern mit ihren inhaltsgetriebenen Produkten das Leben wieder etwas leichter zu machen, ist der Mühe wert.

Bild Nikolai  Longolius

Autor/in

Nikolai Longolius ist Geschäftsführer der schnee von morgen webTV GmbH. Neben der Gründung der webTV Sender dctp.tv und SPIEGEL.TV unterstützt er mit seinem Team weltweit Vermarkter und Broadcaster bei der Optimierung von Werbeauslieferungen im Videobereich. Bei O´Reilly (Köln) erschien 2011 sein Buch „Web-TV: AV-Streaming im Internet“. Voraussichtlich 2016 erscheint sein Buch „Werbung und das Internet“.
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