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k. bluem-beck / photocase.de

Der Europäische Gerichtshof hat in einem aktuellen Urteil die Ungültigkeit des Safe-Harbor-Abkommens zwischen der EU und den USA festgestellt. Über dieses Abkommen war es möglich, in der EU erhobene, personenbezogene Daten an Unternehmen in den USA zu transferieren. Vielfach wird geglaubt, dass dieses Urteil nur US-Unternehmen wie Amazon, Google und Facebook betrifft. Auch wenn Facebook der Ausgangspunkt der Entscheidung des EuGH war, hat das Urteil auch Auswirkungen auf europäische Unternehmen, die Daten in den USA speichern oder verarbeiten. Was müssen diese Unternehmen jetzt berücksichtigen und welche Konsequenzen wird dieses Urteil mittelfristig für die Marketingverantwortlichen haben?

Unternehmen, die keine eigenen Vereinbarungen mit US-Dienstleistern haben oder nicht mit Unternehmen zusammenarbeiten, die wiederum Daten in den USA verarbeiten und zudem nicht zu US-Unternehmen gehören, haben nichts zu befürchten. Betroffen von der Entscheidung sind allerdings diejenigen Unternehmen, deren vertragliche Basis für eine Datenverarbeitung in den USA auf die Einhaltung der Regelungen der Safe-Harbor-Vereinbarung abstellen. Solche Firmen stehen nun vor der Frage, wie sie sich nach dem Urteil des EUGH hinsichtlich ihrer Datenverarbeitung zu verhalten sollen. Dr. Fabian Niemann von der Rechtskanzlei Bird & Bird beantwortet hierzu die dringendsten Fragen:

Adzine: Herr Dr. Niemann, sollten also Unternehmen, die bisher auf Grundlage von Safe Harbor Daten in die USA transferiert haben, dies nach dem Urteil sofort unterlassen?

Dr. Niemann: Das Urteil des EuGH gilt ohne Umstellungsfrist unverzüglich. Nichtsdestotrotz sollten Unternehmen nicht in Panik verfallen und alle Datentransfers sofort abbrechen. Stattdessen gilt es jetzt zu prüfen, welche Datentransfers konkret betroffen sind und Alternativen zu evaluieren.

Adzine: Welche rechtlichen Auswirkungen hat das Urteil nun auf die Unternehmen, die bisher personenbezogene Daten in die USA transferiert haben?

Dr. Fabian Niemann

Dr. Niemann: Die rechtlichen Auswirkungen des Urteils sind noch nicht so klar, wie es zunächst den Anschein haben mag. Obwohl es offensichtlich ist, dass Datentransfers auf der Basis von Safe Harbor neu bewertet werden und möglicherweise auf einer neuen Grundlage erfolgen müssen, ist noch nicht abzusehen, wie neue rechtliche Rahmenbedingungen aussehen könnten. Die Einschätzung des neuen Sachverhalts und der sich daraus ergebenden Konsequenzen für Unternehmen ist von Seiten der zuständigen Datenschutzbehörden in den verschiedenen EU-Mitgliedsstaaten bisher noch sehr unterschiedlich. Schon diese Woche möchte sich die Artikel 29 Gruppe (also die Gruppe der europäischen Datenschutzbehörden) treffen, um die Folgen des Urteils zu beraten; die Resultate dieses Meetings bleiben abzuwarten. Kurzfristig dürften wahrscheinlich Standardvertragsklauseln die einzige Alternative in vielen Fällen sein.

Adzine: Was empfehlen Sie den Unternehmen, wie sollen sie sich verhalten?

Dr. Niemann: Es ist auf jeden Fall empfehlenswert, dass die Unternehmen:

  • keine neuen Anwendungen einführen, die auf Datentransfers auf Grundlage von Safe Harbor setzen.
  • die Entwicklungen verfolgen und für alle Eventualitäten vorbereitet sind,
  • insbesondere darauf, dass Datenschutzbehörden in einzelnen Mitgliedsstaaten auch ohne Abstimmung innerhalb der EU möglicherweise kurzfristig drastische Schritte, wie den vollständigen Abbruch aller Datentransfers, verlangen.
  • Optionen evaluieren, wie man auf die verschiedenen Entwicklungen reagieren kann.

Adzine: Wie hoch ist aktuell das Risiko, direkter rechtlicher Konsequenzen?

Dr. Niemann: Den inoffiziellen Statements der zuständigen Behörden nach zu urteilen, ist das Risiko aktuell noch gering. Dies kann sich aber schnell ändern, weshalb Unternehmen, wie bereits erwähnt, schnellstmöglich Alternativen evaluieren sollten.

Adzine: Welche Auswirkungen hat das Urteil auf andere rechtliche Grundlagen des Datentransfers, konkret Standardvertragsklauseln und Binding Corporate Rules (BCR)?

Dr. Niemann: Diese Grundlagen haben weiterhin Gültigkeit. Sie sind nicht Teil des Urteils. Aber auch hier besteht das Risiko, dass Grundlagen mittelfristig von Nutzern, Verbraucherverbänden oder Datenschutzorganisationen vor dem EuGH in Frage gestellt werden.

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Das Urteil des EuGH zum Safe-Harbor-Abkommen hat in der digitalen Wirtschaft viel Staub aufgewirbelt. Die Wenigsten hatten mit einer so klaren Absage gegen das bestehende Abkommen gerechnet. Wir haben Marktteilnehmer aus der Data- und Adtech-Branche nach ihren Einschätzungen zum EuGH Urteil befragt, darunter: Artegic, Adform, Experian und Exactag. Es scheint, dass die europäischen Unternehmen nun ihre Chance für die eigenen Dienstleistungen und Services wittern.

Stefan von Lieven, CEO des Dialogmarketingspezialisten artegic AG

Stefan von Lieven

Viele Geschäftsmodelle, sind – insbesondere im Hinblick auf Service und Marketing – ohne den Einsatz von Daten nicht mehr denkbar. Das Urteil des EuGH unterstreicht dabei noch einmal den Stellenwert der rechtskonformen Nutzung von Daten. Datenschutz und Datensicherheit sind bei Data-driven Marketing kein Beiwerk, sondern müssen konsequent mitgedacht und in alle Prozesse implementiert werden.

Neben der Frage des Serverstandorts ist insbesondere wichtig, sicher zu sein, wie und welche Daten erhoben und verarbeitet werden – beispielsweise hinsichtlich verhaltensbezogener Nutzerprofile oder bei der Zusammenführung mit Daten aus Social Media oder anderen Quellen. Hier herrscht beidseitig des Atlantiks ein sehr unterschiedliches Bewusstsein hinsichtlich Datenschutzbelangen. Unternehmen, die Daten bisher nach deutschem Recht und deutschem Datenschutzverständnis erfasst und an deutschen Serverstandorten verarbeitet haben, haben einen klaren Wettbewerbsvorteil. Sie stehen nicht nur rechtlich auf der sicheren Seite, sondern punkten auch gegenüber dem Nutzer, der für Datenschutzfragen mehr und mehr sensibilisiert ist.

Hendrik Kempfert, Commercial Director DACH bei Adform,

Hendrik Kempfert

Wir begrüßen das Urteil des EuGH zum Safe-Harbor-Abkommen. Die rechtliche Grundlage, mit der US-Firmen die Datenspeicherung bisher begründet haben, wurde nun in Frage gestellt. Denn sie können die Daten europäischer Nutzer nun nicht mehr rechtssicher in amerikanischen Rechenzentren vorhalten. Darüber hinaus ist es aber auch keine Option für amerikanische Firmen, die Daten in europäische Rechenzentren auszulagern, wie das Urteil gegen Microsoft zeigt. Denn es gilt: US-Firmen unterliegen auch US-Gesetzen – und somit besteht wieder kein Schutz für die Daten europäischer Nutzer. Dementsprechend sollte sich wohl auch jedes europäische und deutsche Unternehmen fragen, ob es künftig noch auf US-Anbieter setzen möchte. Dies spielt vor allem im datengetriebenen Marketing eine große Rolle! Nicht die nationale Rechtsprechung sollte darüber entscheiden, wo Daten vorgehalten werden, sondern Unternehmen tun besser daran, die Datenhoheit zu sich zurückholen.

Das Interesse an der sogenannten „Data Governance and Ownership“, also der Kontrolle und der Hoheit der Daten, wächst stetig. Insbesondere Werbungtreibende aus Bereichen wie Reise, Telekommunikation, Banken und Versicherungen haben ein großes Bedürfnis, die Hoheit über ihre Daten zurückzugewinnen. Sie lizensieren mehr und mehr eigene Systeme und schreiben ihren Mediaagenturen immer häufig die Systeme vor, mit denen sie datengetriebenes Marketing betreiben wollen. Hintergrund hierfür ist, dass diese Branchen besonders stark im Search-Bereich tätig waren – und somit Google und anderen großen Playern unbewusst in die Hände gespielt haben. Denn Google hat viel über die Nutzer gelernt und Wissen über deren Verhalten gesammelt und bietet in diesen Branchen immer häufiger eigene Angebote, wie etwa Vergleichsportale für Reisen, an. Die Unternehmen können sich also nicht mehr sicher sein, dass Google nicht irgendwann zum Wettbewerber wird.

Zudem sehen wir gleichwohl bei Unternehmen wie bei Nutzern eine stetig wachsende Datensensibilität. Das Urteil des EuGH stützt letztlich auch auf diese Sensibilität, unterstützt aber gleichzeitig auch die Wahrnehmung des Verbrauchers, dass mit den eigenen Daten Schindluder getrieben werden könnte. Das EuGH-Urteil sehen wir daher positiv. Es bestätigt uns in unserer Ansicht, dass das Thema Daten sowie der richtige Umgang mit ihnen in Zukunft immer wichtiger wird. Aus diesem Grund haben wir bei Adform eine gesonderte Vorstandsposition geschaffen und mit Dr. Jochen Schlosser einen Datenexperten eingestellt.

Gregor Wolf, Deutschland-Geschäftsführer des Data-Driven- und Cross-Channel-Marketing-Anbieters Experian

Gregor Wolf

Für Deutschland ändert sich doch wenig damit, denn die deutschen Behörden haben doch de facto das Safe-Harbor-Regime seit Jahren nicht anerkannt. Ich sehe die Wendung eher als Chance für Deutschland und Europa, auch wenn der Liberalismus des Internets geschwächt wird. Jetzt sind Unternehmen gefragt, die sauber dokumentierte und zertifizierte Prozesse aufzusetzen. Ich bin gespannt wie das die US-Unternehmen hinbekommen. Experian ist hierfür gut aufgestellt, weil wir unsere europäischen Datencenter in Frankfurt unterhalten.

Jörn Grunert, Managing Director, Data und Marketing Attribution Plattform Exactag

Jörn Grunert

Das Gerichtsurteil des EuGH zum Safe Harbor Abkommen ist in seiner Deutlichkeit überraschend, inhaltlich wäre es aber durchaus zu antizipieren gewesen. US-Unternehmen konnten sich in der Vergangenheit nur durch den Eintrag auf einer Liste und das lose Versprechen den Datenschutz einzuhalten, von den europäischen Datenschutzbestimmungen loslösen. Diese Praxis war auf die Dauer nicht durchzuhalten, wenn man den Datenschutz ernst nehmen will. In der Realität haben deutsche Unternehmen die Beständigkeit des Abkommens ohnehin in Frage gestellt. Gerade wenn es um die vollständige Speicherung von Kundendaten ging, beispielsweise im Falle von DMPs, waren amerikanische Unternehmen mit ihrem Angebot im deutschen Markt auch nicht besonders erfolgreich. Viele deutsche Konzerne sind hier außerordentlich sensibel, auch im Hinblick auf eine mögliche negative Presseberichterstattung.

Aus unserer Sicht werden die nächsten Monate spannend. Der EuGH hat eine unklare Rechtssituation geschaffen und es bleibt nun abzuwarten wie EU Kommission und Datenschützer darauf reagieren werden. Streng genommen ist die Verwendung von US-basierten Cloud-Anwendungen, die persönliche Daten in die USA übertragen, ab sofort rechtswidrig. Nach aktueller Rechtsauffassung sind Verstöße gegen den Datenschutz nicht abmahnfähig, deshalb erwarten wir keine kurzfristigen disruptiven Marktveränderungen. Mittelfristig sollten deutsche Unternehmen allerdings sämtliche in Anspruch genommenen Angebote auf diese Problematik hin prüfen und gegebenenfalls Alternativen in Erwägung ziehen.

Auch wenn es abzuwarten bleibt, ob das Urteil in der Deutlichkeit umgesetzt wird, kann dies eine echte Chance für europäische SaaS-Anbieter sein. Der Aufwand, europäische Datenschutzbestimmungen einzuhalten, nebst Speicherung der persönlichen Daten innerhalb der EU, könnte für so manchen US-Anbieter im B2B Bereich nicht umsetzbar sein. Wir bei Exactag haben uns frühzeitig gegen die Datenspeicherung im Ausland, beispielsweise in Form von Cloud-Diensten, entschieden und wir sind damit den richtigen Schritt gegangen. Die Speicherung von personenbezogenen Daten innerhalb von Deutschland war unseren Kunden auch schon vor diesem Urteil sehr wichtig und ist deshalb auch ein Teil unserer Standardgarantie.

Offizielles Statement von Facebook

This case is not about Facebook. The Advocate General himself said that Facebook has done nothing wrong. What is at issue is one of the mechanisms that European law provides to enable essential transatlantic data flows. Facebook, like many thousands of European companies, relies on a number of the methods prescribed by EU law to legally transfer data to the US from Europe, aside from Safe Harbor. It is imperative that EU and US governments ensure that they continue to provide reliable methods for lawful data transfers and resolve any issues relating to national security.

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