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Artificial Creativity - Kann künstliche Intelligenz kreativ sein?

Jens von Rauchhaupt, 2. November 2018
Adobe Stock, Bearbeitung Redaktion ADZINE

Kommt mit der Artificial Intelligence bald die künstliche Kreativität, die Artificial Creativity? Kann also eine Maschine kreativ sein? Computerwissenschaftler wie Steve Engels von der Universität Toronto würden das klar bejahen. Hiesige Kreative und Markenexperten stehen dem kritisch gegenüber. „Ideen können nur echte Menschen entwickeln“, meint beispielsweise Michael Schipper, Gründer und Geschäftsführer der Kommunikationsagentur SCHIPPER COMPANY mit Sitz in Hamburg und Frankfurt. Der Marketing- und Kommunikationsexperte war lange Zeit Chief Operating Officer der BBDO Germany sowie CEO der Proximity Worldwide. Heute bietet seine Agentur Kommunikation mit den Schwerpunkten Markenkommunikation, CRM und Online. Wie denkt der Agenturchef über die neue Konkurrenz aus den Leiterbahnen?

ADZINE: Herr Schipper, Ihre Agentur sagt über sich selbst „Wir denken konsequent vom Menschen aus“ - Dann haben Sie wahrscheinlich wenig mit dem Thema künstlicher Intelligenz zu tun, oder doch?

Michael Schipper: Prinzipiell begegnen wir dem Thema täglich, weil es natürlich auch sehr stark die Kommunikationsbranche betrifft. Natürlich denken wir über KI nach und werden täglich mit dem neuesten Buzz-Word unserer Branche konfrontiert, aber ich kann bisher noch keinen direkten Bezug zu unserer konkreten Kernleistung erkennen, denn unsere Arbeit ist ja das Entwickeln von Ideen, und das können nur echte Menschen.

ADZINE: Telekommunikations- und Industrieunternehmen setzen künstliche Intelligenz vor allem zur Optimierung bestehender Prozesse ein, um Kosteneinsparungen und Effizienzsteigerungen zu erzielen. Wo sehen Sie Anwendungsszenarien von KI in Ihrer täglichen Agenturarbeit für den Kunden?

Zum Glück ist nur der Mensch in der Lage Neues zu entdecken.

(Michael Schipper, SCHIPPER COMPANY)

Schipper: Ich sehe keine direkten Ansatzpunkte am Kern unserer Arbeit. Sicher macht KI in einzelnen Unternehmensprozessen oder in Teilprozessen von digitalen Kommunikationsanwendungen unserer Kunden Sinn. Wir müssen aber klar den Punkt erkennen, ab dem KI für das Kernprodukt einer Kommunikationsagentur nicht ansatzweise verwertbar ist. Und dieser Punkt beginnt genau da, wo die menschliche Kreativitätsfähigkeit beginnt. Und eben nicht da, wo das angesammelte und in kybernetischen Kreisläufen repetierte Scheinwissen bestmöglich ausgegeben wird. Zum Glück ist nur der Mensch in der Lage Neues zu entdecken, verlässliche Höchstwahrscheinlichkeitspfade zu verlassen und überraschend neue Ideen zu entwickeln. Denn genau dafür wird die Kreativbranche bezahlt: für die Fähigkeit das jeweils noch Unbekannte in die Wirklichkeit zu bringen.

ADZINE: Und, kann künstliche Intelligenz kreativ sein? Was denken Sie?

Schipper: Der Name verrät es ja schon: Diese Intelligenz macht nur bestmöglich das künstlich nach, was die menschliche Intelligenz zuvor erschaffen hat. Sie kann also nur bis zu einem gewissen Grad das bestmöglich wiederholen, was man ihr zuvor beigebracht hat. Und dieses Prinzip ist stabil und kann nicht verändert werden und damit wird auch klar, dass KI keine eigenen Ideen entwickeln kann – wie beruhigend.

ADZINE: Ein neues Zukunftsszenario ist die Artificial Emotional Intelligence, d.h. künstliche Intelligenz wird in Zukunft nicht nur unser täglicher Begleiter werden (Chatbots oder Ähnliches), sondern berücksichtigt auch eine emotionale und psychologische Dimension. Eine emotionale KI, das klingt irgendwie bedrohlich. Welche Voraussetzungen müssen wohl gegeben sein, damit KI „humanen“ Kommunikationszielen dient und dabei nicht als Bedrohung empfunden wird?

Schipper: Wie soll das funktionieren? Wie sollen Menschen einer Technik ein ehrliches und humanes Vertrauen schenken können? Ich habe das eben bereits ausgeführt: diese angeblichen Emotionen sind vorgespielt und nicht echt. Ihre Auslöser sind nicht Mitleid, Freude oder Trauer, sondern ein Computer-Befehl. Es geht also nicht um Chemie, sondern um Physik. Es geht nicht um das Herz, sondern um Logik – nicht um Fühlen, sondern um Täuschung. Denkbar, dass uns diese neuen Möglichkeiten anfänglich überraschen, denn das Ziel ihrer Erfinder ist immer ein möglichst realitätsnahes und kalkuliertes Abbild der Wirklichkeit zu schaffen, das uns täuschen soll.

ADZINE: Im Marketing wird KI immer wieder mit Personalisierung in Verbindung gebracht. Personalisierung oder auch eine nutzerzentrierte Ansprache über eine gute Datenbasis scheint so eine Art Mantra des New Marketings zu sein. Wo sehen Sie die Grenzen der personalisierten Ansprache, hinsichtlich der Effizienz. Anders gefragt: Ist eine personalisierte Ansprache immer sinnvoll?

...smart ist nicht kreativ und smart ist leider auch meistens fantasielos.

(Michael Schipper zum Personalisierungs-Wahn in der Werbung)

Schipper: Personalisierte Ansprachekonzepte sind im Marketing ja nichts wirklich Neues. Bertelsmann und andere große Konzerne haben in den 90er Jahren ganze Industrien aufgebaut, um Zielgruppen möglichst personalisiert ansprechen zu können. Die Technologien und die Zugangswege haben sich nur weiterentwickelt und verändert und werden dies sicher auch weiterhin tun. Und natürlich mögen wir Menschen es, wenn man behutsam registriert, was wir mögen oder was wir eben nicht mögen. Letztendlich bieten diese Technologien somit Vorteile für Anbieter und Konsumenten gleichermaßen. Aber: Diese Form der Werbung überrascht uns Menschen nicht mit dem Unerwartetem, sondern bestätigt nur bestehende Erwartungen. Ich nenne diese Form der Werbung smart. Aber smart ist nicht kreativ und smart ist leider auch meistens fantasielos.

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